22.4.2015

Gegen die Opfer der rassistischen NSU-Morde wurde jahrelang ermittelt. Weil sie Opfer und mithin unschuldig waren, konnten die Ermittler nichts Belastendes bei ihnen finden. Statt ihre Unschuld anzuerkennen, wurde ihnen unterstellt, dass sie kriminellen, ausländischen Banden angehören würden. Daher seien Zeugenaussagen verhindert und eine Aufklärung der Verbrechen vereitelt worden.

LASTMINUTE-SCHREDDER

LA FAMILIA BEDANKT SICH BEI DEN "ZEUGEN"

Tatsächlich allerdings bestanden derartig mafiöse Strukturen in der parastaatlichen Welt des Verfassungsschutzes. So war es der Inlandsgeheimdienst, der erfolgreich die Strafverfolgung von kriminellen Rechtsextremisten vereitelte. Während der NSU mordete, wurden V-Männer in seinem Umfeld vor der Polizei geschützt, und nach der Selbstenttarnung der rassistischen Terrorgruppe wurden Akten vernichtet und Zeugenaussagen abgesprochen. Oder es wurde gleich ganz geschwiegen. Zudem starben Zeugen in auffälliger Häufung.

Brutalstmögliche Aufklärung ist Aufklärung über die Brutalität einer Gesellschaft, welche die aufzuklärenden Zustände hervorbringt. Mit einer Performance anlässlich der Vorladung führender Verfassungsschutz-Mitarbeiter im Münchner NSU-Verfahren hat die Kampagne Blackbox Verfassungsschutz die Dinge gerade gerückt und die Projektion des mafiösen Handelns der Staatsapparate auf die Opfer rassistischer Gewalt entlarvt.

Am 199. Verhandlungstag wurden der heutige Präsident des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz und der ehemalige V-Personen-Führer Norbert Wießner vor Gericht zitiert. Sie kamen als Zeugen, obwohl beide über Jahre Straftaten gedeckt und hunderttausende Euro Honorar an Rechtsterroristen und Nazikader ausgeteilt hatten.

Im Kino dankt la familia für ein Verhalten, das der Justiz Knüppel in die Beine wirft. Eine derartige Vorstellung gab es nun auch in München: Den „ehrbaren Herren“ wurde am Gerichtseingang die Möglichkeit zum lastminute-schreddern gegeben. Überdies bekamen sie eine aus Hessen bekannte Aufforderung mit auf den Weg: „Immer dich bei der Wahrheit bleiben“. Nachdem das Duo Wießner/Meyer-Plath auch dieses Mal nichts Substantielles zur Rolle ihrer Organisation ausgesagt hatte, wurde es in bester Mafiatradition von den Kollegen des Verfassungsschutzes mit Torte und Sekt gebührend in Empfang genommen.

Wer sind die Zeugen?


„Zeuge“ Nr. 1:

Gordian Meyer-Plath hat Carsten Szczepanski, einem Rechtsterroristen, Brandstifter und verhinderten Lynchmörder, dessen Opfer nur um Haaresbreite überlebte, Hafterleichterungen verschafft und möglicherweise die Begehung von Straftraten als Freigänger ermöglicht. In seiner aktiven V-Mann-Zeit plante Szczepanski Sprengstoffanschläge auf Antifaschist_innen und gab aus dem Gefängnis Nazi-Fanzines heraus. Gordian-Meyer Plath zahlte 50.000 Mark an seinen V-Mann, während dessen Opfer bis heute auf das ihm zustehende Schmerzensgeld wartet.

Hinweise auf die Bewaffnung von Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gab er erst gar nicht an die Strafverfolgungsbehörden weiter. Das Brandenburger Landesamt für Verfassungsschutz verhinderte die Weitergabe noch, als andere Landesämter schon längst das Thüringer LKA informieren wollten.

Nach zwischenzeitlicher Tätigkeit für die Bundestagsabgeordnete Katharina Reiche (CDU) und anschließender Rückkehr ins Landesamt für Verfassungsschutz stieg er nach der Selbstenttarnung des NSU sogar noch auf. Mittlerweile ist er Präsident des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz. Das sizilianische Sprichwort „Wer taub, blind und stumm ist, lebt hundert Jahre in Frieden“ passt auf Meyer-Plath wie Toni Sopranos Faust auf manches Auge.

„Zeuge“ Nr. 2:

Auf die Kappe des Regierungsoberamtsrats a.D. Norbert Wießner geht die Anwerbung des Führungskaders vom Thüringer Heimatschutz, Tino Brandt. Trotz 36 Strafverfahren wurde Brandt nie verurteilt. Vielmehr erhielt er für seine Tätigkeit vom Verfassungsschutz mindestens 200.000 Mark Honorar und technisches Gerät. 2.000 Mark stellte ihm der Inlandsgeheimdienst extra für die Beschaffung falscher Pässe für das Trio Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe zur Verfügung. Außerdem gab Brandt im Münchner Verfahren zu Protokoll, vom Verfassungsschutz vor Hausdurchsuchungen und polizeilichen Maßnahmen gewarnt worden zu sein.

Norbert Wießner, der zeitweillig auch erwog, Beate Zschäpe als V-Person anzuwerben, genießt seinen Lebensabend als Pensionär.