Die Naturfreundejugend hat ihren Ursprung in der Arbeiter*innenbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts. „Den arbeitenden Menschen aus grauen Städten den Zugang zur Natur zu erschließen“, war das Ziel der Naturfreunde vor über 100 Jahren. Sie verbanden emanzipierte Freizeitgestaltung mit gesellschaftspolitischen Forderungen für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen. Als Gegengewicht zur bürgerlichen Erziehung wurde 1926 die Naturfreundjugend gegründet. Hier ein kleiner Einblick in die Geschichte der Naturfreundejugend...

Geschichte

#1Weil der Mensch ein Mensch ist...

Die Arbeiterinnen und Arbeiter im Kaiserreich sahen tagtäglich meist nur endlose Fabrikhallen, dunkle Hinterhöfe und ihre beengten Quartiere. Trotz Arbeitszeiten von bis zu 14 Stunden pro Tag reichte der Lohn eines Arbeiters oftmals nicht aus, um die Familie zu ernähren. Nur sonntags rief die Fabriksirene nicht zur Arbeit. Berge, Seen und stadtnahe Natur blieben ihnen unerreichbar: Die Eisenbahnfahrkarten oder die Übernachtung in einer Herberge waren praktisch unerschwinglich.
In der Stimmung des Aufbruchs nach dem Fall des „Sozialistengesetzes“ 1890 entstanden zahlreiche Vereine, die die Freizeit der unteren Schichten prägten und ihre Lebenswelt verbessern wollten: von Arbeitergesangsvereinen über Arbeiterbildungsausschüsse, Theatern wie der „Freien Volksbühne“ bis zur sozialistischen Freidenkerbewegung. Nur ein kleiner Teil der Arbeiterschaft war in der Partei organisiert, doch viele nahmen die Angebote der Bildungsinstitutionen, der sozialen Einrichtungen (Spar- und Bauvereine, Konsumvereine) oder Kultur-, Freizeit- und Sportvereinigungen in Anspruch. Der „klassenbewusste“ Arbeiter, so wurde gewitzelt, sei von „der Wiege bis zur Bahre“ in die Arbeiterorganisationen eingebunden.
Schrittweise erkämpfte Arbeitszeitverkürzungen und mehr Freizeit bildeten die wichtigste Voraussetzung für die Entfaltung der von sozialistischen Arbeiter*innen getragenen Kulturorganisationen.

#2Die Gründung des Touristenvereins

Gegen Ende des Jahrhunderts begann mit Turn- und Wanderfahrten die touristische Selbstorganisation der Arbeiterbewegung. Es entstanden erste Vereine, die Wanderungen und Familienausflüge organisierten. Zu ihnen zählte auch der 1895 von Wiener Sozialisten gegründete Touristenverein „Die Naturfreunde“ (TVDN). Ihr Gruß „Berg frei!“ unterstrich die Forderung nach freiem Wegerecht in der Natur. Ein Privileg, das Arbeitern oft nicht zustand. Die Naturfreunde verstanden sich als sozialistische Familien-Selbsthilfeorganisation für den gesamten Freizeitbereich: Bildung und erholsame Freizeit in der Natur wurden verbunden mit dem Kampf für ein gleiches Wahlrecht und den Acht-Stunden-Tag. Schnell verbreitete sich die Naturfreunde-Idee vor allem durch wandernde Handwerksgesellen in ganz Europa, bis sie 1908 in Berlin zur Gründung einer Ortsgruppe führte.

Aufgrund von Meinungsverschiedenheiten mit der Zentrale in Wien über zu hohe Mitgliedsbeiträge und Inhalte der Vereinszeitung verließen jedoch zahlreiche Mitglieder den Touristenverein und gründeten den Arbeiterwanderbund (AWB) „Die Naturfreunde“. Mit der Zeitschrift „Der Wanderfreund“ gaben sie seit 1910 ihr eigenes Mitteilungsblatt heraus. 1915 schloss sich der Taubstummen-Touristenverein “Frisch auf“ dem AWB an. Seit diesem Jahr verfügten die konkurrierenden Arbeitertouristen mit dem Meißnershof über ein eigenes Naturfreundehaus, das insbesondere während des ersten Weltkrieges zu einem wichtigen Treffpunkt wurde.

Schon in der kaiserlichen Zeit gehörte es zur schönen Tradition der Arbeitersportler, bei Wahlkampagnen besondere Stoßtrupps aufs Land zu schicken. (…) Sie brachten unsere Aufklärungsmaterialien selbst in die Dörfer, wo die Partei niemals einen Versammlungsraum erhalten hätte. An einem schneereichen Sonntagmorgen, kurz vor der Reichstagswahl im Jahr 1912, fuhr ich mit einer starken Gruppe der Berliner Naturfreunde hinauf in die Uckermark. Gleich nach der Abfahrt des Zuges verwandelte sich unser Vierter-Klasse-Wagen in ein Agitationslokal. Flugblätter wurden abgezählt, gefalzt und mit Stimmzetteleinlagen versehen. (Karl Grünberg)

#3Zwischen Hurrapatriotismus und Revolution

Der erste Weltkrieg spaltete die Arbeiterbewegung. Die Mehrheit der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion hatte sich aufgrund der „patriotischen Stimmung“ zur Bewilligung der Kriegskredite entschlossen, die die kaiserliche Reichsführung forderte. Kritische Stimmen werden zum Verstummen gebracht: Nur neun Tage nach Kriegsausbruch muss der Vorabdruck von Heinrich Manns »Untertan« aus Furcht vor der Zensur gestoppt werden. Zahlreiche Sozialisten erhielten wegen Agitation gegen den Krieg Gefängnisstrafen.
Dem „Hurrapatriotismus“ der ersten Monate wich jedoch schnell die Ernüchterung. Im Westen entwickelte sich der Stellungskrieg zu einer Materialschlacht. Die „militärischen Notwendigkeiten“ beherrschten zunehmend das gesamte Leben auch in der Heimat. Insbesondere in den Städten wurde die Lebenssituation der „kleinen Leute“ katastrophal. Die Nahrungsmittel reduzierten sich auf ein Minimum und seit 1916/1917 häuften sich die Hungerdemonstrationen.

Im Januar 1918 fiel auch die Zeitschrift „Der Naturfreund“ der kaiserlichen Zensur zum Opfer. Anlass war ein Artikel, der eine „traurige Bilanz“ des Krieges zieht:

Tausende unserer Vereinsmitglieder haben ihr Leben lassen müssen, und wer weiß, wie viele noch hinsinken werden auf der blutigen Wallstatt, dass die armen gegeneinander gehetzten Völker zur Besinnung kommen und sich gegen die Verhetzer und Bedrücker, gegen ihre gemeinsamen Feinde wenden werden.

#4Alle Macht den Räten: Die halbe Revolution und der Beginn von Weimar

Hoffnung und Wirklichkeit klafften in der Novemberrevolution 1918 weit auseinander. Mit Friedrich Ebert stellte die Mehrheits-SPD den ersten Reichskanzler und wendete sich gegen die Rätedemokratie. Zum ersten Mal finden freie Wahlen statt, zum ersten Mal dürfen Frauen ihre Stimme abgeben. Der Acht-Stundentag wird eingeführt und Gewerkschaften als Tarifpartner verankert. Die nun entstandene bürgerliche Republik war jedoch zu erheblichen Konzessionen bereit. Zur radikalen Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums und zur „Vergesellschaftung der Produktionsmittel“ kam es nicht. Im Dezember 1918 gründete sich die KPD und manifestierte die Spaltung der Arbeiterbewegung. Reaktionäre Kräfte etablieren die „Dolchstoßlegende“ und bekämpften Republik und Kommunisten gleichermaßen. Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht werden von rechtsgerichteten Offizieren erschossen.
In der Weimarer Republik erlebten die Naturfreunde einen steilen Aufstieg. In Berlin existierten weiterhin zwei proletarische Wanderorganisationen: Den als „Blümchenpflücker“ verspotteten Touristenverein „Die Naturfreunde“ (TVDN) und den Arbeiterwanderbund „Die Naturfreunde“ (AWB) mit dem Symbol des „Roten N“. Nach der Niederschlagung des Spartakus-Aufstandes beschließt der Arbeiterwanderbund eine Satzungsänderung: Künftig dürfen nur Mitglieder von USPD oder KPD eine Funktion in der Organisation übernehmen.

#5Grüne Inseln im Klassenkampf: Die Naturfreundehäuser

Hotels und Gasthöfe waren für Arbeiterinnen und Arbeiter meist unbezahlbar. Deshalb begannen in Deutschland ab 1910 Naturfreunde in Eigeninitiative und unterstützt durch Spenden, Anteilsscheine und Abwohnzertifikate mit dem Bau von Herbergen. Schließlich standen den Arbeitertouristen zahlreiche Naturfreundehäuser in Naherholungsgebieten und Gebirgen zur Verfügung. 1932 waren es allein in Deutschland über 300. Aber die Naturfreundehäuser waren nicht nur Wanderherbergen, sondern mit ihren Biblio-theken, Ausstellungen und Vorträgen gleichzeitig Bildungseinrichtungen und Freiräume für die ungestörte politische Betätigung. Die Häuser entwickelten sich zu Treffpunkten und Veranstaltungsorten der gesamten Arbeiterbewegung.

Bereits während des ersten Weltkrieges wurde das Naturfreundehaus Meißnershof errichtet und vor allem von Kindergruppen des TVDN für Feste, mehrtägige Freizeiten und Kindersonnenwendfeiern genutzt. Die feierliche Einweihung der Luchhütte mit ihrem Wohnschiff fand am 1. August 1926 statt. Nicht nur Naturfreunde verbrachten hier ihre Freizeit, sondern auch die Sozialistische Arbeiterjugend (SAJ) und Gewerkschaften. Steigende Ansprüche führten zur Abkehr von einfachen Massenquartieren und zum Bau des Naturfreundehauses in Üdersee bei Eberswalde. Seit 1930 konnten die Arbeiter den „Luxus“ eines Zweibettzimmers genießen. Bis zum Ende der Weimarer Republik unterhielt der Gau Brandenburg des TVDN zwölf Naturfreundehäuser.

...durch jedes neues Haus erobert wir ein Stückchen Boden der Arbeiterklasse.“ Protokoll TVDN HV, 1928

#6Arbeiter*innen in Bewegung

Seit den frühen 1890er Jahren bildete sich eine eigenständige Arbeiterinnensportbewegung heraus, gleichzeitig wurde der Sport zur wichtigsten Freizeitbeschäftigung der Arbeiterschaft. Die Arbeitersportler wollten sich in einer solidarischen und nicht durch Konkurrenz vergifteten Atmosphäre sportlich betätigen. Sie förderten den Massensport und wendeten sich gegen die Professionalisierung und Rekordsucht im Sport. Auch für die Naturfreunde kamen 1925 „...keine sportlichen Wettkämpfe, Meisterschaften und Olympiaden in Frage. Wir lehnen jeden Wettkampf in unseren sportlichen Betätigungen ab.“

1912 wurde die Zentralkommission für Sport und Körperpflege als Dachverband des Arbeitersports in Deutschland gegründet, um gegen die “bürgerlichen gleichartigen Verbände“ zu agitieren, die unverhohlen völkisch-antidemokratisch auftraten.1913 schloss sich der Touristenverein der Zentralkommission an. Auf regionaler Ebene organisierten sie sich in Sportkartellen, wie dem Kartell-Verband Groß-Berlin. Mit der zunehmenden Auseinandersetzung zwischen SPD und KPD wurden Rote Sportkartelle und die „Kampfgemeinschaft für Rote Sporteinheit“ (Rotsport) gegründet. Hier sammelten sich die kommunistischen Sportler, darunter auch der Berliner ASV „Fichte“, dem zahlreiche ausgeschlossene Naturfreunde beitraten. Der Berliner Touristenverein „Die Naturfreunde“ bot neben dem Wandern zunehmend auch Klettern und Skifahren sowie ab Mitte der 20er Jahre das Kanufahren an.

#7Enfach das Weite suchen

Noch bevor Reiseunternehmen Arbeiter als Zielgruppe für das Geschäft mit dem Fernweh entdeckten, begannen die Naturfreunde den erkämpften gesetzlichen Urlaubsanspruch mit günstigen Reiseangeboten zu füllen. Mit Wanderführern, Landkarten und Wegemarkierungen machten Naturfreunde Berge und Wälder zugänglich. In den Naturfreundehäusern konnten Arbeiterfamilien preiswert ihre Wochenenden oder Ferien verbringen.

Die große Nachfrage nach preiswerten Ferienfahrten konnte bald nicht mehr mit den herkömmlichen Strukturen der Vereinsarbeit erfüllt werden. Zunächst wurde eine Wanderauskunftsstelle in Berlin eröffnet und später zu einem selbständigen Reisebüro ausgebaut. 1927 wurde das Naturfreunde-Reisebüro in der Johannisstraße in Berlin-Mitte eröffnet. Hier wurden auch ein- bis zweiwöchige Reisen in die Alpen, an die Ostsee und das europäische Ausland angeboten. Neben der Veranstaltung von Gruppenreisen wurden in dem Reisebüro auch Einzelreisende beraten, Quartiere vermittelt und Reisepläne ausgearbeitet. Ergänzt wurde das Reisebüro durch eine Reisesparkasse und ein eigenes Fachgeschäft für Sport- und Reisebedarf, der Einkaufsgenossenschaft (EKA). Naturfreunde konnten sich hier aufgrund eines Vertriebssystems in reichsweit 14 Filialen zu vergünstigten Preisen für die kleine und große Fahrt ausrüsten: Reiseführer, Zelte, Kocher, Kletterausrüstung, Rucksäcke oder Kanus – ein Vorläufer der modernen Outdoorläden.

#8Soziales Wandern: Proletarische Formen der Bildung

Als Alternative zum unpolitischen, bündischen Wandern versuchten die Naturfreunde im „sozialen Wandern“ eine eigenständige politische und kulturelle Tourismusform programmatisch zu entwickeln. Durch das Wandern sollten nicht nur die Gesundheit der Arbeiter gehoben, sondern auch gesellschaftliche, kulturelle und naturkundliche Zusammenhänge erklärt werden. Soziales Wandern setzte sich bald in der gesamten Arbeiterjugend durch und wurde in zahlreichen Vorträgen und Artikeln propagiert. Die proletarischen Wanderer vermieden dabei bewusst den militärischen Charakter der Aufmärsche bürgerlicher Turnverbände: Die übliche Trennung der Geschlechter wurde aufgehoben, eine Marschordnung abgelehnt.
Mit Wanderungen von einigen hundert Teilnehmern, speziellen Kinderwanderungen oder kleineren Ausflügen zogen die Naturfreunde vor allem in das Berliner Umland.

#9Macht euch frei: Lebensreformer*innen, Nudist*innen und Eugenik

Als antimoderner Reflex hatte die Lebensreform-Idee bei großen Teilen der Jugendbewegung und den Naturfreuden Spuren hinterlassen: Naturromantik, Zivilisationskritik und Körperhygiene. Abstinenz, Vegetarismus, FKK, Sonnenwendfeiern, Volkstanz aber auch gesunde Ernährung und Kleidung standen im Mittelpunkt des Interesses. Diese Ideen prägten das Menschenbild und boten mit ihren zum Teil biologistischen oder esoterischen Vorstellungen auch Anknüpfungspunkte für rechte Mythologie und Ideologie.
Das Nacktbaden genoss bei Naturfreunden hohe Popularität. In den frühen 1930er Jahren wurde das Klima in der Republik jedoch zunehmend konservativer. So belegte die preußische Badepolizeiordnung vom 18. August 1932 das „öffentliche Nacktbaden oder Baden in anstößiger Kleidung“ mit einer Geldstrafe, kurz darauf wurden mit dem sogenannten “Zwickelerlass“ die Standards für eine züchtige Badebekleidung genau festgelegt.

Aber auch die sozialhygienischen Themen gerieten mehr und mehr in den Mittelpunkt der Lebensreformer. Viele plädierten für regulierende Eingriffe in den Fortpflanzungsprozess der Menschen, um angeblich „krankes Leben“ zu verhindern. Der Plan, „Alkohol- und Erbkranke“ in Asyle zu stecken und ihre Fortpflanzung durch Sterilisation zu verhindern, kursierte keineswegs allein bei rechten Eugenikern. Die Nationalso- zialisten setzen diese Vorstellungen mit der grausamen Ermordung tausender „Behinderter“ und „Asozialer“ in der Aktion T4 um.

#10Für die Rote Sporteinheit

War ein Bekenntnis zum Sozialismus vor 1918 eine klare Sache, so wurde es nach der Spaltung der Linken in eine sozialdemokratische und eine kommunistische Richtung für fast alle Organisationen der Arbeiterbewegung zu einer Zerreißprobe. Es entstanden zwar auch eigenständige kommunistische Vereine, wie z.B. die „Rote Hilfe“, die „Internationale Arbeiterhilfe“ oder der „Rote Frontkämpferbund“. Doch in vielen Vereinen, wie den Freidenkern, den Arbeitersportlern und den Naturfreunden blieben Kommunisten und Sozialdemokraten jahrelang, zumindest bis 1927/28 und zum Teil sogar bis 1933 zusammen in einer Organisation. Damit wurden diese Organisationen automatisch zum „Vorfeld“ sowohl für die SPD als auch für die KPD. Beide Parteien bemühten sich darum, ihre politische Linie zur Geltung zu bringen. Die sogenannte „Sozialfaschismusthese“ der KPD wurde insbesondere nach dem „Blutmai“ 1929 in Berlin genutzt, die Sozialdemokratie zum Hauptfeind zu erklären.
Während in der Reichsleitung der Naturfreunde vorwiegend Sozialdemokraten saßen, dominierten in den Gremien des Gaues Brandenburg und der Ortsgruppe Berlin kommunistische Naturfreunde. Im Jahr 1925 löste die Reichsleitung den Gau Brandenburg wie auch andere Ortgruppen der Naturfreunde auf. Bis 1932 hatte die Reichsleitung 213 Ortsgruppen ausgeschlossen; das entsprach rund einem Drittel der Mitglieder. Die ausgeschlossenen Berliner Naturfreunde schlossen sich dem Arbeitersportverein Fichte an und gründeten dort eine eigene Wandersparte.

#11Zwischen Anpassung und Verbot

Die meisten Arbeitervereine ebenso wie die Naturfreunde suchten 1933 das Arrangement mit dem NS-System. Im März 1933 erklärte der Bundesvorstand des Arbeiter-Turn- und Sportbundes seinen „ehrlichen Willen zur Mitarbeit“ im nationalsozialistischen Staat und seine Bereitschaft „durch Pflege der Leibesübungen an der Gesundung und Erstarkung des deutschen Volkes mitzuarbeiten.“ Der sozialdemokratische Reichsverband der Kleingärtner beeilte sich zu betonen, dass die Schrebergartenbewegung sich schon immer für eine „gesunde Bodenpolitik“ und jene „gesunde Bevölkerungspolitik“ eingesetzt habe, die nun der Grundpfeiler des neuen Staates geworden sei.

Am 18. März 1933 verwies die Reichsleitung des T.V. „Die Naturfreunde“ auf ihren Kampf „gegen die kommunistische Zersetzungstätigkeit“ und die traditionelle Aufgabe der Naturfreunde, „das schaffende deutsche Volk durch das Wandern körperlich, geistig und sittlich zu fördern, Liebe zu Natur und Heimat, Volk und Vaterland zu erwecken und dadurch der deutschen Volksgemeinschaft zu dienen“. Später wurde betont, auch unter den „neuen staatspolitischen Bedingungen positiv zu Volk, Staat und Nation“ zu stehen. Ein Verbot konnten sie dennoch nicht verhindern. In der Verfügung des Preußischen Innenministers vom 17. September 1933 wurde der T.V. „Die Naturfreunde“ in Preußen aufgelöst und sein Vermögen eingezogen.

Einige Naturfreunde-Gruppen arbeiteten – angepasst an das neue System – unbehelligt weiter. Die Köpenicker Naturfreunde nahmen einen „Arier-Paragraphen“ in ihre Satzung auf und wählten sich einen Vereinsführer mit braunem Parteibuch. Andere schlossen sich gleichgeschalteten Wander- und Sportvereinen an oder engagierten sich in NS-Massenorganisationen.

#12Zwischen Verweigerung und Widerstand

Erich Nowack:

Erich Nowack wurde 1919 zunächst Mitglied des AWB und später des Touristenvereins „Die Naturfreunde“. Hier leitete er ab 1924 die Fotogruppe. Mit dem 1934 gegründeten Verein „Natur und Kamera“ bemühte sich Erich Nowack, eine illegale Naturfreundegruppe weiter zu führen, dem sich auch Mitglieder der SAJ und der SPD anschlossen. 1936 erfolgte jedoch das Verbot wegen marxistischer Umtriebe. Viele Mitglieder schlossen sich nach dem Verbot der „Reisegesellschaft Faltbootfahrer“ an. Als „Zusammenballung ehemaliger Marxisten“ wurde auch dieser Verein im Juni 1937 aufgelöst. Dennoch gelang es auch weiterhin einem Teil der Berliner Naturfreunde gemeinsam ihre Freizeit zu verbringen.

Rudi Pietschker:

Schon früh engagierte sich Pietschker in Gewerkschaft, SAJ, Naturfreundejugend und Jungbanner. Gemeinsam mit Genossen aus der SAJ leistete er Kurierdienste für die SPD Exilleitung. Außerdem produzierte die Gruppe Flugblätter, die vor der Aufrüstung der Nazis warnten. Um die Weiterarbeit zu tarnen, schloss sich die kleine Gruppe erst den bürgerlichen „Märkischen Wanderern“ und später den Abstinenzlern, den „Guttemplern“, an. Bis 1937 konnten sich hier Nazigegner austauschen und gemeinsam diskutieren. Auf ihren „Nordlandfahrten“ hielten sie Kontakt zu Sozialdemokraten im Exil und halfen jüdischen Mitgliedern zur Flucht. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges wurde Pietschker zur Wehrmacht einberufen. Er überlebte und war nach 1945 maßgeblich am Aufbau der Naturfreundejugend und der antifaschistischen Jugendarbeit in Berlin beteiligt. Von 1975 bis 1982 war er Bezirksbürgermeister in Berlin-Kreuzberg.

Charlotte Eisenblätter:

Als Mitglied der SAJ, trat Charlotte Eisenblätter nach ihrem Ausschluss aus den Naturfreunden 1924 dem ASV Fichte bei und baute dort die Naturfreunde-Wandersparte auf. Nach ´33 hielt sie weiter Kontakt zu den Arbeitersportlern, hörte Feindsender und las verbotene Literatur. Mit der kommunistischen Widerstandsgruppe um Beppo Römer und Robert Uhrig fertigte sie Schreibarbeiten für die illegale Flugschriftreihe „Informationsdienst“ und schrieb mit Werner Seelenbinder Flugblätter, die als Feldpost getarnt an Soldaten der Ostfront geschickt wurden. 1942 wurde sie von der Gestapo verhaftet. Im Juli 1944 verurteilte der Volksgerichtshof Eisenblätter und andere Mitglieder der Widerstandsgruppe wegen „Hochverrat“ und „Feindbegünstigung“ zum Tode. Das Urteil wurde am 25. August 1944 in Berlin-Plötzensee durch das Fallbeil vollstreckt.

Erich Cohn:

Der Pazifist und Sozialdemokrat trat 1919 vom „Jung-Jüdischen Wanderbund“ zum Touristenverein „Die Naturfreunde“ über. Engagiert in der Antikriegsbewegung wurde er 1928 Vorsitzender der SPD Ortsgruppe Sachsenhausen. Kurz nach dem Machtwechsel wurde Cohn verhaftet und in das KZ Oranienburg verschleppt. Kontakte zur sozialdemokratischen Widerstandsgruppe Otto Scharfschwerdts führten zu einer Kette von Haftstrafen und KZ-Aufenthalten. Nach seiner Ausweisung aus Deutschland im August 1939 ging Cohn nach England, trat der britischen Armee bei und kämpfte gegen die deutschen Streitkräfte. Zum Schutz bei der Gefangennahme änderte er seinen Namen in Eric Collins.

#13Kapitulation und Kalter Krieg

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus lag Berlin in Trümmern. Zwölf Jahre Nationalsozialismus hatten ihre Spuren in Straßenbild und Köpfen hinterlassen. Mit kleinen Zetteln auf Anschlagbrettern begaben sich Naturfreunde auf die Suche nach alten Genossen und führten zu den ersten Treffen. Eine wichtige Rolle kam Willi Bulan zu. Der frühere Vorsitzende des Gaues Brandenburg des TVDN arbeitete im Hauptsportamt des Berliner Magistrats und war für die Wandersparte im kommunalen Sport zuständig. Mit Zeitungsanzeigen suchte er ehemalige Mitstreiter. Und in der Frankfurter Rundschau veröffentlichten US-amerikanische Naturfreunde im Oktober 1945 einen Aufruf, der die Wiedergründung und Wiederzulassung der Naturfreunde forderte. Im Januar 1947 kamen im Weddinger Mercedes-Palast 1.700 ehemalige Naturfreunde zusammen.
Erst im Oktober 1949 erfolgte die Zulassung der Naturfreunde in Berlin. Die französische Militärverwaltung erteilte zudem die Lizenz für die Herausgabe des Verbandsmagazins „Der Wanderfreund“. Die offizielle Gründungsversammlung fand im Dezember des gleichen Jahres statt. Franz Maspfuhl, Obmann der Berliner Arbeitertouristen von 1924 bis 1933, wurde zum Vorsitzenden gewählt. Die Naturfreunde verfügten zu diesem Zeitpunkt bereits über neun Bezirksgruppen mit fast 400 Mitgliedern. Im April 1950 trafen sich Vertreter der Jugendgruppen und gründeten die Naturfreundejugend Berlin.

#14Naturfreunde auf den Weg in den Kulturbund

Bei vielen Sozialdemokraten und Kommunisten wurde die Spaltung der Arbeiterbewegung für den Aufstieg der Nationalsozialisten verantwortlich gemacht. Diese zu überwinden bestärkte sie in dem Wunsch nach sozialistischen Einheitsorganisationen. Rassistischem, chauvinistischem und militaristischem Gedankengut sollte der organisatorische Boden entzogen werden.

Die sowjetische Militärverwaltung (SMAD) genehmigte zwar Sportveranstaltungen auf kommunaler Ebene. Dem Wandern und Bergsteigen stand sie aber skeptisch gegenüber. Die SMAD befürchtete die Möglichkeit illegaler nationalsozialistischer und militaristischer Tätigkeiten, hatten doch Fußmärsche schon lange zur vormilitärischen Ausbildung gezählt.

Nach längeren Bemühungen um eine eigene Organisation trat ein Teil der ehemaligen Naturfreunde dem 1945 gegründeten Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands bei. Hier bildeten sie die Gruppe „Natur- und Heimatfreunde“. Andere Naturfreundegruppen schlossen sich ab 1948 den Betriebssportgruppen, später dem Deutschen Wanderer- und Bergsteigerverband (DWBV/DWBO) an. Mit den Naturfreunden in der Westzone und der späteren Bundesrepublik gab es nur wenige Kontakte. Einzelne Naturfreunde-Traditionen wurden aber dennoch erhalten. So war der offizielle Gruß der DDR-Wanderer „Berg frei!“, sie trafen sich in ehemaligen Naturfreundehäusern und einige Gruppen feierten weiterhin die Jahrestage ihrer Gründung in der Weimarer Republik.

#15Arbeiterkultur nach dem Nationalsozialismus

Vor dem Hintergrund von Westintegration, Restauration und Wirtschaftswunder wird West-Berlin zur Frontstadt des Antikommunismus. Der Protest gegen die Wiederbewaffnung brachte aber auch linke Jugendorganisationen auf die Straße. Bei den Berliner Naturfreunden stiegen in den 50er Jahren Angebote und Mitgliederzahlen kontinuierlich an. Das Reisebüro „Die Naturfreunde“ in der Emser Straße wurde1952 eröffnet. Bereits im zweiten Jahr wurden 4.200 Reisen verkauft.

Besonders aktiv waren die Jugendgruppen. Mit Zeltlagern, Wanderungen und Seminaren entwickelte der Kreis um Landesjugendleiter Rudi Pietschker ein engagiertes Programm der antifaschistisch-demokratischen Jugendbildungsarbeit. Segelflieger und Taucher gründeten eigene Gruppen und der Kanu-Club-Naturfreunde (KCN), der später ein eigenes Bootshaus in Haselhorst errichtete, etablierte sich. 1952 kaufte die Naturfreundejugend ein Haus in Lichterfelde und benannte es nach einem der Gründer der internationalen Naturfreunde „Karl-Renner-Haus“. Es wurden Beratungsstellen für Fahrten und Zeltlager sowie eine Bibliothek, Werkstätten und Seminarräume eingerichtet.
Mit der Sperrung der Zonengrenze für West-Berliner und dem Mauerbau 1961 beschränkten sich die Wandergebiete der Naturfreunde auf West-Berlin. So entschlossen sie sich zum Bau des Naturfreundehauses im Hermsdorfer Fließtal, das 1957 eingeweiht wurde. Mit Campingmöglichkeiten, einem großen Versammlungsraum und Übernachtungsmöglichkeiten wurde es zu einem beliebten Veranstaltungsort und Ausgangspunkt für Wanderungen.

#16Antifaschistische Bildungsarbeit der Naturfreundejugend

Sechs Jahre nach dem Holocaust wurde der Ruf nach einem Ende der Entnazifizierung immer lauter. Ehemalige NSDAP-Mitglieder erlangten einflussreiche Positionen in Politik und Wirtschaft. Auch der Regisseur des antisemitischen Propagandafilms „Jud Süß“, Veit Harlan, bringt 1952 wieder einen Film in die Kinos. Mit Gedenkstättenfahrten, Lesungen und Protestveranstaltungen forderte die Naturfreundejugend, aber auch Falken, Gewerkschaftsjugend und Sozialistischer Deutscher Studentenbund, eine kritische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus.

Als erste Berliner Jugendorganisation startete die Naturfreundejugend im März 1962 zu einer Studienfahrt nach Israel. Mit der Fahrt wollten sie ein sichtbares Zeichen für Völkerverständigung und gegen Antisemitismus setzen. Die Jugendlichen hatten sich in Arbeitsgruppen auf die Fahrt vorbereitet und trafen sowohl Gewerkschafts- als auch Regierungsvertreter. In einem Lastwagen fuhren sie durch das Land, übernachteten in Kibbuzim. In Jerusalem nahmen sie an der Berufungsverhandlung gegen den Organisator des Holocaust Adolf Eichmann teil. Die Eindrücke der Reise wurden in einer Broschüre festgehalten. Es sollten viele weitere Besuche folgen. Im Anschluss sammelten die Naturfreunde Unterschriften für die Aufnahme diplomatischer Beziehungen beider Staaten, die 1965 vom Bundestag beschlossen wurde. Als am 6. Juni 1967 der „6-Tage-Krieg“ ausbrach, engagierten sich die Berliner Naturfreunde mit einer Spendenaktion, zu der auf der Titelseite des „Wanderfreundes“ aufgerufen wurde.

#17Ostermarsch und antiautoritärer Protest

Mit den „Ostermärschen der Atomwaffengegner“ bringen die Naturfreunde seit 1960 Bewegung in die Abrüstungsdebatte und können gemeinsam mit pazifistischen Gruppen immer mehr Menschen mobilisieren. In der Öffentlichkeit werden die Proteste der beteiligten Naturfreunde als kommunistisch diffamiert. 1962 treten die „Falken“ auf Druck des SPD-Parteivorstandes von den Demonstrationen zurück. Im Zuge der Auseinandersetzung um die Notstandsgesetze und den Vietnamkrieg werden die Ostermärsche in „Kampagne für Demokratie und Abrüstung“ umbenannt. Ebenso energisch protestierten die Naturfreunde gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings.
Die 68er Studentenbewegung hinterließ auch ihre Spuren bei den Naturfreunden. Repressionsarm und antiautoritär sollten die Zeltlager künftig sein: Freie Wahl der Schlafräume, eigenverantwortliche Festlegung der Nachtruhe und kollektive Regelungen in Konfliktfällen.

#18Mehr Demokratie wagen

Der gesellschaftliche Aufbruch der frühen 70er und die neue Ostpolitik lassen neue Themen in den Fokus rücken: Ökologie, Feminismus und Sexualität verbanden sich mit traditionellen Ansätzen. Mit Protestwanderungen wie zum Kraftwerk Oberhavel, Podiumsdiskussionen in der Urania und politischen Stellungnahmen machten die Naturfreunde auf die Probleme der Umweltzerstörung aufmerksam und wurden mit Waldreinigungsaktionen praktisch. Aus einer Kritik am Massentourismus und seinen ökologischen Auswirkungen entwickeln die Naturfreunde das Konzept des „sanften Tourismus“ als sozial- und umweltverträgliche Form des Reisens.

Auch die Naturfreundejugend bewegte sich – nach links: Mit einer eigenen Frauengruppe und verstärkter Seminararbeit trugen sie dieser Entwicklung Rechnung. Stadtteilprojekte sollten zudem die Situation sozial benachteiligter Kinder verbessern: Das Kinderzentrum Rathausstraße in Tempelhof, das Kinderzentrum Halle MV im Märkischen Viertel und der Spielplatz Holsteinische Straße werden eröffnet. Mit dem Sozialistischen Jugendzentrum (SJZN) sowie Sozialistischen Schülergruppen (SSG) entwickelten sich innerhalb der Naturfreundejugend neue Formen der Selbstorganisation.
Politische Konflikte konnten nicht ausbleiben. Zwar wurde die neue Ostpolitik der SPD von den Naturfreunden unterstützt, das Engagement der Naturfreundejugend gegen die Berufsverbote, Begegnungen mit der FDJ oder Bündnisse mit der SEW werden von vielen älteren Naturfreunden mit Skepsis betrachtet. Der Verfassungsschutz beobachtete die Naturfreundejugend.

#19Naturfreunde und neue soziale Bewegungen

Mit dem „Krefelder Appell“ wandten sich 1980 prominente Unterzeichner*innen gegen die Stationierung neuer US-Mittelstreckenwaffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik. Die Erklärung wurde bis 1983 von ca. vier Millionen Menschen unterzeichnet. Der Protest gegen den NATO-Doppelbeschluss wurde für viele Jahre zu einem der Schwerpunkte der Naturfreunde. Sie beteiligten sich an Bündnissen und Demonstrationen nicht nur in Berlin. Naturfreundehäuser wurden bundesweit symbolisch zu „atomwaffenfreien Zonen“ erklärt, so auch das Karl-Renner-Haus in Lichterfelde. Mit dem Widerstand gegen Atomkraftwerke und Atomwaffen verknüpfen die Naturfreunde umwelt- und friedenspolitische Forderungen.

Aber auch die Situation in der Dritten Welt wird zunehmend zum Thema: Als „internationale Brigaden“ verbrachten Schüler und Studenten aus Deutschland ihre Ferien bei der Kaffeeernte in Nicaragua und unterstützen die Sozialreformen der Sandinisten, während Naturfreundehäuser die sog. „Sandino-Dröhnung“ zum Frühstück ausschenken.