Ganz Deutschland ist vom nationalen Unsinn ergriffen. Ganz Deutschland? Nein, ein rosa Häschen der Berliner NFJ versuchte ein Jahr lang gegen die Feierlaune im deutschen Gedenkjahr anzustinken. Es lief dabei bei Filmpremieren über rote Teppiche, wies auf die Abwesenheit der Erinnerung an deutsche Kolonialgeschichte hin, torpedierte nationale Kunstvereinnahmung, mischte in der Varus-Schlacht mit und wischte Erika Steinbach eins aus, störte Volkstrauertage, reaktionäre Architekturprojekte und koloniale Ausstellungsphantasien. Dies alles ist ganz hübsch anzusehen (und hier nachzulesen).
Pink Rabbit gegen Deutschland
#1Einige Überlegungen zur Praxis der Kampagne Pink Rabbit gegen Deutschland
»Euretwegen hätte ich fast den Einsatz versemmelt«, schrieb uns Anfang Dezember letzten Jahres ein junger Bundeswehrsoldat. Seine Kompanie war drei Wochen zuvor zum Zeremoniell des sog. Volkstrauertags abgestellt worden – und hatte dabei Bekanntschaft mit dem rosa Hasen unserer Kampagne gemacht, der mitten durch die Ränge der strammstehenden Soldaten turnte. Nach Selbstauskunft hatte sich der junge Rekrut dabei »fast in die Hosen gepisst vor Lachen«. Soldaten, deren Harnschließmuskel nicht so will wie ihre Vorgesetzten, sind ein äußerst passendes Sinnbild für das Ziel unserer politischen Arbeit aus dem letzten Jahr: Herrschaft der Lächerlichkeit preisgeben – und durch Lachen einen Raum für Reflexion und vielleicht sogar Kritik schaffen.
Einsatzpunkte unserer Kampagne Pink Rabbit gegen Deutschland waren Nation und Nationalstaat. Beide sind, so haben wir in unserer Kampagnen-Broschüre argumentiert, systematisch mit verschiedenen Herrschaftsverhältnissen (Kapitalismus, Rassismus, Antisemitismus und asymmetrischen Geschlechterverhältnissen) verwoben: Der Nationalstaat garantiert die Eigentumsordnung und strukturiert den Kapitalismus, verteilt Privilegien und verhängt Sanktionen. Er weist soziale (rassifizierte, vergeschlechtlichte) Klassenpositionen zu und normiert Lebenspraxis. Die Logik des Nationalismus, als Legitimation und Glaubensbekenntnis zur Nation, bestimmt mit dem für die Nation notwendigen Volksgedanken das Innen und das Außen. Für diese Logik sind Rassismus (»Wir« und »die Anderen«) sowie moderner Antisemitismus (»der Jude« als die Figur des Dritten in der binär strukturierten nationalstaatlichen Ordnung
) konstitutiv. Wie viele andere Gruppen, die sich im letzten Jahr mit Nation und Staat beschäftigt haben, halten wir Nationalismus keineswegs für »normal« oder »natürlich« – vielmehr ist er eine herrschaftliche Ideologie und in allen seinen Ausprägungen zu bekämpfen. In Deutschland gilt dies in besonderer Weise vor dem Hintergrund der Verantwortung für zwei Weltkriege, genozidale Kolonialherrschaft und die Shoa sowie deren jeweilige gesellschaftliche Nachwirkungen und die durch sie gesetzten Voraussetzungen für emanzipatorisches Handeln. Daher verschrieb sich unsere Kampagne einem umfassend herrschaftskritischen und historisch situierten Antinationalismus, der bei vielen deutschen Linken aufgrund von bewegungsnaiver Ignoranz oder eurozentrischer Zivilisationschauvinismen nicht zu finden ist.
Betrachtet man den Gegenstand unserer Kritik genauer, fällt auf, dass er sich u.a. durch permanente Inszenierungen im Bewusstsein der Menschen Geltung verschafft. Man könnte sogar sagen, die Nation ist eine ritualisierte Ordnung par excellence. Diese aktualisiert durch beständig wiederholte Inszenierungen Herrschaft, mit ihnen wird nationale Identität erlernt. Doch natürlich ist die Nation nicht auf Inszenierungen beschränkt: »Ideologische Staatsapparate« wie Schulen, Kirche, Armee (Louis Althusser) sind an ihrer alltäglichen Reproduktion als erste Lebensrealität entscheidend beteiligt. Von den repressiven Staatsapparaten wie (Grenz-)Polizeien, Abschiebegefängnissen und Ausländerbehörden mal ganz zu schweigen. Doch der Inszenierung kommt für die relative Reibungslosigkeit dieser Abläufe eine entscheidende Bedeutung zu. Ist sie gestört, wird ein Raum geöffnet, in dem Menschen sich des performativen und bisweilen absurden Charakters ihrer oder der ihnen dargebotenen Handlungen gewahr werden können – ein Raum, in dem etwas (nicht-herrschaftliches) Anderes denkbar wird.
Das »Super-Gedenkjahr 2009«, mit dem in Deutschland im letzten Jahr eine Reihe von nationalen Jubiläen begangen werden sollten (60 Jahre Grundgesetz, 2000 Jahre Varusschlacht, 20 Jahre Mauerfall etc.), ließ eine Häufung solcher Inszenierungen erwarten. Hier hat unsere Kampagne angesetzt. Unser Anliegen bestand darin, eine antinationale Position überhaupt wieder wahrnehmbar zu machen. Denn spätestens mit der flächendeckenden Etablierung des deutschen »Partynationalismus« während der Männerfußball-WM 2006 traf eine solche Position zunehmend auf Unverständnis, wurde pathologisiert oder schlichtweg verhöhnt. Die Aufgabe bestand also darin, diese Konstellation zu wenden. Wer oder was lächerlich, unverständlich oder pathologisch ist, war noch zu zeigen. Ein rosa Häschen schien da gerade gut genug. Und es versprach auch, uns ein wenig Vergnügen zu bereiten.
#2Ein Instrument für Regelverstöße
Pink Rabbit tauchte also das ganze Gedenkjahr lang dort auf, wo Nation zelebriert wurde. Der menschengroße knallrosa Hase versuchte verschiedene Arten nationaler Inszenierung zu entlarven, zu ironisieren und zu stören. Das Hereinplatzen in Veranstaltungen, die Deutschland feierten, war dabei jedoch nur ein Moment unserer Praxis. Auf der Kampagnenhomepage www.pink-rabbit.org wurden zudem Videoclips veröffentlicht, die die Aktionen präsentierten, um über die VeranstaltungsteilnehmerInnen hinaus Menschen zu erreichen. Schließlich konnten auf der Webseite die Flugblätter und Texte zu den einzelnen Interventionen abgerufen werden.
Es ist sicher nicht übertrieben festzuhalten, dass unsere Kampagne gemessen an ihrem Aufwand sehr erfolgreich war. So ließ sich eine deutliche Wahrnehmbarkeit in nicht nur linken Medien bzw. eine Sensibilisierung und Zuspruch von Kreisen, die sonst wenig mit herrschaftskritischen Inhalten konfrontiert sind, feststellen. Auch das Interesse der Linken war groß. Aus dem ganzen Bundesgebiet erreichten uns Anfragen und Einladungen. Seit Ende unserer Kampagne im vergangenen Februar haben wir mehrere Seminare und Veranstaltungen durchgeführt. Und bereits im Laufe des Jahres 2009 haben wir versucht, eine öffentliche Diskussion zu führen und von Einwänden gegen und Kritik an unserer Praxis zu lernen. Was uns solidarisch angetragen wurde, hat unsere Praxis schließlich entscheidend geprägt. Der vorliegende Text will diese Auseinandersetzung fortschreiben. Er ist eine theoretische Reflexion auf unsere Praxis. Er soll unsere Erfahrungen nachvollziehbar und kritisierbar machen. Im Idealfall geht es uns auch um Wissensweitergabe, die andere Formen herrschaftskritischer Interventionen inspirieren kann.
In einer ersten Recherche, was an Festlichkeiten und Spektakeln im »Super-Gedenkjahr« geplant war, stießen wir auf das »Reenactment« der Varusschlacht, jenes deutschnationalen Gründungsmythos, der in dem Sieg der Germanen über die Römer vor 2000 Jahren die Geburtsstunde Deutschlands imaginiert. Die lächerliche Vorstellung eines »authentischen« Nachspiels dieses historischen Ereignisses, das einerseits kaum ernst zu nehmen und andererseits ideologisch nicht zu unterschätzen ist, schien uns nur eine Möglichkeit zu lassen: mit Trash auf Trash zu antworten. So wollten wir unser rosa Häschen mit in die Schlacht schicken. Genauso geschah es. Im Sommer 2009 lief Pink Rabbit mit einer Pumpgun auf das Schlachtfeld und griff die Germanen an. Die Irritation, das Lachen sowie die Wut der ZuschauerInnen, die das Spektakel ungestört genießen wollten, sind auf dem von uns angefertigten Videoclip gut zu sehen. Nach einigen Minuten der Auseinandersetzung ist Pink Rabbit abgeführt worden – im Nachhinein gab es eine Anzeige: »Sie haben bekleidet in einem rosa Hasenkostüm mit einer Wasserpistole in der Hand, eine Aufführung bei den Römer- und Germanentagen der Varusschlacht gestört, indem sie zwischen eine Aufführung liefen und riefen, Sie seien gegen Deutschland.« (Letzteres stimmte noch nicht einmal, sondern war eine beachtliche inhaltliche Transferleistung der Polizei.) Weiter wird festgestellt, dass dies eine »grob ungehörige Handlung« gewesen sei, die gegen »anerkannte Regeln von Sitte, Anstand und Ordnung« verstoßen habe. Genau das wollten wir.
»Noch viel lächerlicher aber ist alles andere, denn es handelt sich um das Bestehende und um die verschiedenen Formen seiner Duldung.«
Mit der Praxis der Pink-Rabbit-Kampagne stellen wir uns in eine Tradition satirischer Aktionsformen. Ironie und Parodie als Mittel der Kritik, das Lachen gegen das Establishment, die unberechenbare Verfremdung und fröhliche Subversion findet man bei Charlie Chaplin, in Teilen der Avantgarden des frühen 20. Jahrhunderts, bei den SituationistInnen sowie in Strategien der Kommunikationsguerilla. Tauchte das Rabbit ungebeten und damit unverhofft auf den unterschiedlichsten Veranstaltungen auf, schuf es einen kurzen Moment des Absurden, der Verwirrung. Durch die Lächerlichkeit einer Figur, die ganz und gar nicht in die stattfindende nationale Inszenierung hineinpasste, konnte es gelingen, die ganze Situation für wenige Augenblicke zu stören und eine eigene groteske Situation zu konstruieren. Pink Rabbit störte die »kulturelle Grammatik« und damit »ästhetische Momente von Herrschaft«. Es attackierte das Regelsystem, »das gesellschaftliche Beziehungen und Interaktionen strukturiert«, dass Normalitäten und Möglichkeiten definiert und Menschen nicht nur Herrschaftsverhältnissen unterwirft, sondern ihnen auch Identifikationsangebote mit diesen schafft.
Dabei haben wir erst nach einigen unserer Aktionen gelernt, wie Pink Rabbit als Tool eigentlich funktionierte, was über Erfolg oder Misserfolg seiner Intervention entschied.
Die Figur erreichte umso eher den erhofften Effekt, je weniger sie mit der kulturellen Grammatik der stattfindenden Veranstaltung übereinstimmte. Dies traf v.a. auf mit Pathos überfrachtete Inszenierungen zu, wozu z.B. die bereits genannten Interventionen zu »Volkstrauertag« und Varusschlacht-Reenactment zählten. In die pathetisch-ritualisierte »Betrauerung« von »für Deutschland Gefallene« mit Fackeln und bewegungslos strammstehenden Soldaten war das grinsende Häschen unter keinen Umständen integrierbar. Und auch bei den »Römer- und Germanentagen« passte die Figur nicht in die Szenerie und brachte die dramatische Reinszenierung der »Geburtsstunde der Deutschen« vollends durcheinander. Der Moment, in dem es auf das Schlachtfeld der SchauspielerInnen flitzte, durfte nicht sein. Entsprechend wurden wir in zahlreichen Zuschriften beschimpft und in den noch harmlosen Fällen als SpielverderberInnen bezeichnet.
Sobald die Figur des rosa Hasen nicht so stark mit Bildern und ritualisierten Ordnungen kollidierte, ging das Prinzip Pink Rabbit nicht auf. Als wir z.B. auf dem Fest zu 60 Jahren Grundgesetz im Mai vergangenen Jahres zu Gender und Nation bzw. gegen nationale Familienpolitik intervenierten, ging das rosa Häschen im bunten Spektakel unter. Die Kondome mit der Aufschrift »Deutschland verhüten!« wurden uns aus der Hand gerissen. Wahrscheinlich hielten sie die meisten Beschenkten ihrerseits für eine Kampagne des Bundesfamilienministeriums und lasen »Deutschland verhütet«. Hier musste zu anderen Mitteln gegriffen werden. Erst das Erklimmen der Hauptbühne am Brandenburger Tor (auf dem Pink Rabbit während des PUR-Konzerts ein Transparent mit der Aufschrift »Deutschland ist PURer Mist« entrollte) ermöglichte es uns, als Störung wahrgenommen zu werden. Dennoch müssen wir uns die Frage stellen, ob sich hier die pinke Figur nicht letztlich in die Logik des Spektakels eingefügt hat.
Unsere Intervention zur Eröffnung der Ausstellung »60 Jahre - 60 Werke« schrammte ebenfalls an der antagonistischen Konfrontation mit der Ordnung des Spektakels vorbei. Nicht nur die, mittels Postkarten von Hitlers »Pinocchio« (1940, 35 x 20 cm, Öl auf Leinwand), verbreitete Einladung zur Sonderschau »1000 Jahre - 1000 Werke« war zu subtil. Angesichts der konsumistischen Inszenierung des »Kunstwunderlandes« (Bild) wäre wahrscheinlich eher Pathos als Gestus der Kritik angezeigt gewesen. Unsere vorab entwickelte, dann aber verworfene Idee, von der Balustrade ein riesiges Transparent mit dem Foto des Eingangs von Auschwitz-Birkenau herunterzulassen (Untertitel: »Deutschland Deine Werke«), hätten die EröffnungsrednerInnen Kai Diekmann und Angela Merkel sicher eher sprachlos gemacht als »Pinocchio«. Gleichzeitig wäre dies keine Aktion im Pink-Rabbit-Format gewesen. Die Überlegung – umgekehrt zu unserem Vorgehen sonst in unserer Kampagne – mit Pathos auf Party zu reagieren, liegt auch angesichts des zuletzt wieder zu besichtigenden Fußball-Party-Nationalismus nahe. Hier könnten antinationaler Praxis noch einige Experimente bevorstehen.
#3Kunst oder Politik
Im Laufe unserer Kampagne wurden wir uns eines weiteren Fallstrickes bewusst, der Gefahr der Vereinnahmung. Versucht man Herrschaft auf ihrer ästhetischen Ebene anzugreifen, d.h. in die Ordnung des Sichtbaren einzugreifen, so droht die politische Entschärfung durch die Etikettierung als Kunst. So berichtete der Sender 3Sat in der prominenten Sendung Kulturzeit über uns. Nicht nur wurden wir dabei zusammen mit zwei anderen Gruppen dargestellt, mit denen wir inhaltlich in keine Verbindung gebracht werden wollten. Gleichzeitig kategorisierte man uns mit manipulativ zusammengeschnittenem Filmmaterial als sich politisch engagierende KünstlerInnen. Das war nichts anderes als die altbekannte Strategie radikale Kritik am Bestehenden in die Ordnung des Sag- und Denkbaren zu überführen: KünstlerInnen dürfen (fast) alles.
Die gelungensten Interventionen waren sicherlich diejenigen, die allein durch die Störung der Ordnung wirkten und kaum weitergehender Erklärungen bedurften. Doch entgegen vieler Kommunikationsguerilla-Strategien (und weil wir eben vielleicht wirklich keine KünstlerInnen sind) gehen wir nicht davon aus, dass allein die ästhetische Form für sich spricht.
Wir vertrauten den situativen Interventionen von Pink Rabbit nicht ganz, wie uns auf einer Diskussionsveranstaltung in Hamburg zu Recht vorgehalten wurde. Das Aushebeln der kulturellen Grammatik, die einfache Irritation beinhaltet noch keine Aufklärung. Schließlich ging es uns nicht zuletzt darum, eine klar umrissene inhaltliche Position – Antinationalismus – ins Feld zu führen. Auch wenn Pink Rabbit die ästhetische Ordnung des »Volkstrauertags« durch sein Erscheinen während der Militärweihen und die Niederlegung eines Möhrenkranzes vor der Neuen Wache in Berlin stören konnte, so hätten diese Aktionen problemlos als schlichte Kritik an Militarismus gedeutet werden können. Unser Anliegen jedoch war es, die gestörten Inszenierungen als Teil einer umfassenderen nationalistischen Praxis zu entlarven. Damit wollten wir den Zusammenhang von zunächst so disparat erscheinenden Veranstaltungen wie der Pflege von Wehrmachtsgräbern, dem Bau des Stadtschlosses und der Eröffnung der Ausstellung »60 Jahre - 60 Werke« sichtbar machen. Nicht nur die Ordnung des Sichtbaren sollte so gestört, sondern eine darunterliegende Ordnung freigelegt und benannt werden.
Dies konnte nur durch den Einsatz anderer Medien, den die Aktionen jeweils begleitenden Flugblättern, Pressearbeit, der Erarbeitung einer Kampagnen-Broschüre sowie unseren Videoclips gelingen. Das Ziel letzterer war es dabei nie, die Aktionen des Rabbits lediglich zu dokumentieren, sondern die Möglichkeiten des Mediums zu nutzen, um eine provokante und zugespitzte politische Botschaft zu formulieren. Zum Teil wichen die Clips von den stattgefundenen Aktionen ab, doch das Zusammenwirken von Aktionen und Clips bot uns die Möglichkeit, jeweils unterschiedliches Publikum zu adressieren. Zusammengeführt wurden diese verschiedenen Stränge auf der Kampagnenhomepage, deren Reichweite durch die Präsenz von Pink-Rabbit-Profilen in zahlreichen social communities des Internets (Facebook etc.) erhöht wurde.
»I like my new bunny suit. When I wear it I feel cute.« (Kimya Dawson)
Wenn Emanzipation nicht mit einem Schlag erreicht oder erkämpft wird, wie es sich mancher (männliche) Revolutionär gerne herbeiphantasiert, sondern ein komplexes Gemengelage aus Brüchen und Prozessen, abhängig von verschiedenen herrschaftlichen Logiken, ist, dann muss auch politische Praxis in ihrer selbstverändernden Dimension reflektiert werden. Daher wollen wir unsere Überlegungen mit Beobachtungen zum Tragen des Rabbitkostüms beschließen.
Die Verwirrung, die das Rabbit stiftete, betraf meist zunächst auch die TrägerInnen des Kostüms. Zu realisieren, dass man in dem Kostüm die Umgebung in den Blick nehmen konnte, ohne selbst als Person identifizierbar zu sein, brauchte einen Moment. Wahrgenommen wurde stattdessen ein winkendes rosa Häschen. Das Kostüm ermöglichte so, eigene Ängste vor dem Protestieren zu überwinden. Denn die Effektivität der kulturellen Grammatik der bürgerlichen Gesellschaft liegt nicht zuletzt darin, dass ihre StörerInnen durch Massenmedien schnell ein individuelles Gesicht bekommen und so persönlich identifizierbar sind. Konformität mobilisiert Angst, verschieden zu sein. Pink Rabbit ermöglichte stattdessen in der zapatistischen Logik des »Todos somos Marcos – Wir alle sind Marcos« eine nicht identifizierbare und nicht individualisierbare Kollektivität.
Die Praxis, immer wieder andere Personen in das Rabbitkostüm schlüpfen zu lassen, hat zudem zu einer Enthierarchisierung der Gruppe beigetragen. Die Personenunabhängigkeit unseres Störkonzepts haben wir jedoch nicht auf jede Ebene der Kampagnenarbeit verlängern können. Aufgrund der gruppeninternen Arbeitsteilung haben nicht alle im gleichen Maße an der Außendarstellung der Kampagne mitgewirkt.
Das Rabbit jedoch wirkte nicht zuletzt aufgrund der verschiedenen InterpretInnen immer ein wenig anders und blieb dadurch uneindeutig. Aus dieser Perspektive kann es als queerer Cyborg gelesen werden: Die Dichotomien Mensch-Tier, Frau-Mann, Kind-Erwachsener etc. wurden durch die Figur des Rabbits aufgelöst. Diese Verwischung und Verflüssigung von Grenzen spielt für die Kritik der Nation eine zentrale Rolle. Denn was ist die Nation anderes als Inbegriff einer Grenzziehung?
Für diese herrschaftskritische Hybridisierung ist im Laufe unserer Kampagne ein nicht minder schönes Sinnbild als der sich vor Lachen fast in die Hose pissende Soldat entstanden. So kodierten Polizei und Sicherheitsdienste unsere störende Figur und damit die in dem Kostüm verborgene Person als männlich. Die Entkostümierung einer Störerin sorgte für eine Verwirrung, die es wohl fast mit jener des Rabbits aufnehmen konnte. So geschehen beim Varusschlacht-Reenactment, bei dem eilig per Funk übermittelt wurde: »Wir haben den Hasen. Es ist eine Frau!«