titellos leider.
titellos leider.
Wer kennt das nicht: Es ist Montagabend, ich bin genervt aus der Schule und vom Gitarrenunterricht zurück, und um zu entspannen zapp ich durch die Programme. Auf der Suche nach irgend etwas Intelligentem gescheitert (weil auf MTV und Viva auch wieder nur unhörbares Gedudel kommt), ziehe ich mir also eine der üblichen Pro7/ Sat1 Talkshows rein. O.k., ich weiß, es ist allgemein bekannt, dass Talkshows ziemlich dämlich sind; aber ist euch mal aufgefallen, dass die ganzen Frauen und Männer in Talkshows die gleichen Probleme haben? Er kann nicht mehr, hat was mit einer anderen oder noch schlimmer: Er hat sich in einen anderen Kerl verliebt. Sie kriegt von ihm nicht genug Geld für neue Klamotten, sie hat was mit einem anderen und er flippt deswegen total aus, sie ist schwanger und er will sich aus der Verantwortung ziehen, sie ist mal wieder total verliebt und er denkt wie immer nur an Sex.
Sie ist wahlweise „Schlampe“, „Miststück“, „Fotze“ und / oder einfach nur eine hysterische Zicke. Er ist ein „Arschloch“, „eine Schwuchtel“, „eine schwule Sau“ und/ oder einfach nur ein brutales „Sackgesicht“.
Beliebte Beleidigungen im allabendlichen bundesrepublikanischen Schmieren-Theater, und der/die Zuschauer/in freut sich. Stereotype, einfache Konflikte und der „das-kenne-ich-doch- auch“-Effekt. Und manche von euch merken das schon gar nicht mehr. Der Großteil der deutschen Gesellschaft findet Spiegel Artikel mit dem Thema: „Bist du ein echter Kerl?“ nicht schlimm. Es ist doch interessant, herauszufinden ob man unter die Kategorie „Schwuchtel“ (meistens Künstler oder Akademiker) oder in die Kategorie „harter Kerl“ ( meistens Bauarbeiter oder Manager) fällt. Emanzipation ist in den Medien also nicht vorhanden (egal ob Privatsender oder angesehene Zeitschrift). Auch in allen anderen Fernsehsendungen sind unsere weiblichen und männlichen Helden doch ziemlich unterschiedlich.
Ist sie meistens lieb und relativ hilflos (ohne ihn), ein Vamp, oder einfach eine „hardcore lesbe“, die ihr Auto allein repariert und Kochen hasst. So ist er ein cooler Aufreißer (und am Ende dann doch immer verständnisvoll), ein netter looser, in dem dann doch mehr „männliches“ steckt, oder einfach schwul, d.h. zickig und unfähig ein Regal zusammen zu bauen, und er wäre gern schwanger. Mag sein, dass es sogar ein paar Leute gibt, die die gleichen Probleme haben wie die Menschen in den Talkshows, oder die genauso drauf sind, wie die Leute in den Serien (Why not?). Aber davon abgesehen, dass dieses Zeug sowieso jedem halbwegs intelligentem Menschen auf die Nerven geht (allein schon wegen der Schauspieler): Warum müssen Männer grundsätzlich so und Frauen grundsätzlich so anders dargestellt werden?
Wenn sie wirklich so wären, hätte ich mir schon lange die Kugel gegeben, denn selbst die übelsten Tussen entpuppen sich, wenn man allein mit ihnen redet, oft als nicht halb so unselbständig, zickig und dumm, wie sie tun. Und auch der schlimmste Macker kann ein ganz netter Kerl sein. Die Leute (zumindest die in meinem Alter), die sich so
aufführen, tun es, weil es cool und bequem ist und weil die Medien es vorgeben. Aber Pro7 würde so etwas wie: „Er sagt Sie sagt“ (eine Sendung die versucht zu erklären warum Frauen (angeblich) nicht einparken und Männer (angeblich) nicht zuhören können), nie senden, wenn es nicht der Mehrheit der Bevölkerung gefallen würde. Das führt zu dem deprimierenden, aber naheliegenden Schluß, dass in der dt. Gesellschaft trotz aller hochgelobten Emanzipation der Sexismus tief sitzt. Und beginnt man dann, sich umzugucken, ist er da, überall. Ob in Deo Werbung wie: „Mach dich fit für die Ladys“, oder im widerlichen Mathelehrer, der meint Mädchen könnten nicht logisch denken; im Sportlehrer, der meint alle Jungs, die nicht über fünf Meter springen seien schwul, und schwul sein sei das Schlimmste überhaupt; In Radiomoderatoren, die sich freuen, dass ihre Freundin nicht da ist, und sie in Ruhe Fußball gucken können und allen Männern das gleiche Glück wünschen; im Klempner der mitleidig meint:“ Na, wäre der Papa im Haus, könnte ich im das Problem ganz leicht erklären, aber du interessierst dich ja nicht für Technik, Kleine. Hast du vielleicht einen großen Bruder?“; oder im netten Kindergärtner der beim Fußballspielen meint: „Für die Mädchen zählt jedes Tor zwei Punkte!“
Dabei sind Geschlechter (zumindest das von der Gesellschaft konstruierte Geschlecht (Gender), also nicht das biologische (sex)) doch reine Definitionssache: Es gibt keine Tätigkeit, die eine Frau ausführen muss, weil sie eine Frau ist, und es gibt auch keine Tätigkeit, die ein Mann ausführen muss, weil er ein Mann ist. Talente und Fähigkeiten sind auf die Geschlechter gleich verteilt. Das wußte schon Plato... Ich kann euch nicht erklären woher die Idee von typisch weiblich und typisch männlich kommt, ich kann euch nur sagen, dass ich es für den größten Irrtum halte. Auch wenn es die perfekte Hausfrau, den starken Bauarbeiter, den schwulen Floristen und die lesbische Fußballerin tatsächlich gibt - warum muss man deshalb jemand auch nur ansatzweise anders behandeln? Und warum kann der Florist kein „ganzer Kerl“ und die Fußballerin keine „richtige Frau“ sein?
Warum muss Mensch überhaupt in solchen Rollen denken?
Denkt mal darüber nach. Wär es nicht viel cooler, wenn jede/r sich sein/ ihr eigenes Geschlecht konstruieren würde? Leben ist Veränderung und sich an eingefahrene Prinzipien halten langweilig. Warum findet ihr das nicht auch in dem Punkt?
Erschienen in:
Blackout - Zeitung der NFJ Schüler_innengruppe dispergo (2006)