"Redet man in Deutschland über die Nation, spricht man im Land der Henker vom Strick“
"Redet man in Deutschland über die Nation, spricht man im Land der Henker vom Strick“
Im „Gedenkjahr 2009“ konnte man dich schon mehrmals dabei beobachten, wie Du nationale Inszenierungen störst. Was gefällt dir denn nicht an Deutschland und der Nation?
Schön, dass Du beides ansprichst – also die Kritik an der Nation und an Deutschland. Der Nationalstaat ist der zentrale Modus des gesellschaftlichen Ausschlusses. Dabei ist es zweitrangig, ob dieser Ausschluss über ein rassistisches bzw. exklusives Modell, das sich auf Abstammung oder eine vermeintliche Kultur beruft, von statten geht, oder über eine modernisierte Form, die vordergründig nach dem Nutzen im Rahmen nationalökonomischer Verwertbarkeit fragt, geschieht. Diese gewalttätige Form der Vergesellschaftung ist mir einfach zuwider.
Anders als einige andere antinationale Gruppen finde ich allerdings, dass man nicht einfach so tun kann, als sei Deutschland einfach eine Nation unter vielen. Hier in Deutschland hat ein nationales Kollektiv die größte Vernichtungsaktion der Moderne ins Werk gesetzt. Wenn man in Deutschland über die Nation redet, dann spricht man im Land der Henker vom Strick, und das sollte man auch deutlich machen.
In Saarbrücken mussten wir letztens die geballte Ladung Deutschtümelei ertragen. Die halbe Innenstadt war gesperrt, weil Angela Merkel ausgerechnet hier den Tag der deutschen Einheit verbringen musste. Warum warst Du nicht hier?
Das lag an Zeit und Ressourcenknappheit. Mir ist es leider nicht gelungen, Zutritt zur dieser Veranstaltung zu erhalten, um Merkel und das politische Personal persönlich zu ärgern. Da ich ohnehin nicht effektiv hätte stören können, hab ich mich lieber damit beschäftigt, mal einen etwas längeren Text zu schreiben, der demnächst auf
www.pink-rabbit.org
veröffentlicht wird.
Auf der Saarbrücker Demo, die gegen Nationalismus und für eine „freie Assoziation der Individuen“ war, konnte man auch die israelische und amerikanische Nationalflagge sehen. Ist das nicht absurd?
Das ist eine schwierige Frage, die man nur im Einzelfall beantworten kann. Das hat im Übrigen auch mit der oben geschilderten Spezifik zu tun. Ich finde es richtig, wenn man gegen die Verunglimpfung der Alliierten und die geschichtsrevisionistische Behauptung eines Bombenholocausts herausstellt, dass die Niederschlagung des Nationalsozialismus ein Verdienst und kein Verbrechen war. Von daher gibt es Anlässe, wo auch die Verwendung der genannten Fahnen sinnvoll sein kann. In der Regel stellt dies dann auch eine Provokation dar. Auf einer Demonstration, die sich am 3. Oktober abarbeitet, scheinen mir Alliiertenfahnen diese Provokation nicht zu leisten. Schließlich waren es die ehemaligen Alliierten, die 1990 mit der Unterzeichnung des 2+4 Vertrages den Weg für die Art deutscher Souveränität, die wir seit 1990 „erleben“, frei gemacht haben.
Mir scheint, dass es in den Debatten um Demonstrationsbeflaggung bei BefürworterInnen und GegnerInnen von Nationalfahnen gleichermaßen weniger um inhaltliche Argumente als um die Verhandlung der eigenen Identität geht. Das mag unpolitisch klingen, aber ich bin es mittlerweile ein bisschen leid, mich dazu äußern zu müssen.
Über die gewöhnlichen „Latschdemos“ wird sich in einem Teil der linken Szene häufig lustig gemacht. Doch ist der Tod der „Latschdemo“ nicht ein eher trauriges Zeichen der Entpolitisierung eines Großteils der Menschen?
Bei dieser Frage schwingt mir ein bisschen zu viel Kulturpessimismus mit. „Latschdemos“ der radikalen Linken sind ja in Deutschland einer ziemlich klar bestimmbaren sozialen Schicht zuzuordnen. Überspitzt gesagt: weiß, passdeutsch, studentisch. Die Frage, ob das daran liegt, dass alle anderen so unpolitisch sind, oder ob es daran liegt, dass diese Szene und ihre Aktionsformen für viele politische Kämpfe einfach nicht attraktiv ist, sollte man sich schon mal stellen. Und ich verstehe die Kritik an einer Eventisierung und Professionalisierung von politischem Protest. Ich denke aber, dass man die in den meisten Fällen inhaltlich und nicht über die Form kritisieren muss.
Es wird mir oft unterstellt, dass ich was gegen „Latschdemos“ hätte. Das ist nicht der Fall. Ich denke, dass verschiedene Aktionsformen, aber auch nichtaktionistische Politik nebeneinander stehen können und sollten.
Besteht nicht die Gefahr, sich zu sehr auf die Medien einzulassen, immer neuere Protestformen erfinden zu müssen, damit einem überhaupt noch Gehör geschenkt wird?
Ja, die Gefahr besteht. Aber sie besteht, glaube ich, anders, als die Frage nahe legt. Das Problem ist ja nicht, dass man neue Protestformen erfinden muss. Ich denke, da sind wir und viele andere Gruppen kreativ genug. Das Problem ist, dass in allen Protestformen, die auf mediale Vermittlung angewiesen sind, ein Teil der Kritik verloren geht. Das gilt für klassische Protestformen genauso. Ich war mehr als einmal auf Demos, die durch Industriegebiete im ländlichen Raum marschierten und auf denen über eine viel zu schwache Anlage von einem ungeübten Sprecher schwer verschachtelte Redebeiträge verlesen wurden. Die wurden noch nicht einmal von den Anwesenden auch nur akustisch verstanden. Das andere Extrem ist, wenn ich bei der Störung einer Bund-der-Vertriebenen-Veranstaltung von einem Kamerateam des öffentlich-rechtlichen Fernsehens begleitet werde, das meine Kritik auf ihre Form reduziert und in Kulturzeit auf 3Sat als: „Künstler machen jetzt auch Politik“ vorstellt. Eine Gruppe, der ich in Hassliebe verbunden bin, hat einmal geschrieben: „Nur tote Fische kommen in die Zeitung“. Das stimmt – andererseits überlebt auch der lebendigste Fisch es in der Regel nicht, wenn man versucht, ihn in die Marx-Engels-Gesamtausgabe einzuwickeln. Mann muss da immer Abwägungen treffen. Ich hoffe, mir gelingt das halbwegs.
Auf der 30-Jahr-Feier der taz bekamst Du einen Preis. Du hast aber die Gelegenheit genutzt, um der taz selbst einen Preis zu überreichen: das „Ehrenkreuz in Plüsch für besondere Verdienste um die Nation“. Was meintest Du damit?
Ich habe ja nicht nur das Kreuz übergeben, sondern auch einen Brief verlesen. Der zentrale Satz war: „Du bekommst das Ehrenkreuz in Plüsch für das Einschwören der Deutschen auf ein Nationalgefühl moralischer Überlegebenheit, in so heiklen Situationen wie dem Kosovokrieg. Mit Dir und den Grünen konnte man sich total links fühlen und trotzdem Krieg führen. Und man wusste, dass man besser war als die anderen, nicht TROTZ sondern WEGEN Auschwitz.“
Die taz hatte eine Gala veranstaltet, bei der sie alle möglichen Gruppen eingeladen hatte und dann einen Preis für die beste politische Aktion verleihen wollte. Uns ging es darum, bei diesem unsäglichen Umarmungsversuch nicht mitzumachen. Es ist ja gerade das linksliberale Milieu, das diesen neuen deutschen Sound ausgetüftelt hat: „Ja wir sind Militärmacht – aber unsere Kriege sind Entwicklungshilfe mit robustem Mandat. Vor unseren gendersensibel durchgeführten Kriegen braucht sich niemand zu fürchten, und in ein paar Jahren wird auch der Leopard [Kampfpanzer der Bundeswehr, Anm. d. Red.] auf Biosprit umgestellt. Immerhin hat deutsches Kriegsgerät schon seit den Dreißigern die Namen bedrohter Tierarten.“
In solcher Gesellschaft fand ich es richtig, Unversöhnlichkeit zu demonstrieren und auch ein bisschen nachtragend zu sein.
Gab es daraufhin Reaktionen aus dem Publikum oder seitens der Redaktion?
Ja, klar. Das war ganz lustig. Wir haben die Kampagne mit ein paar ironischen Seitenhieben auf die politischen Formen des linksliberalen Milieus vorgestellt. Das fanden alle lustig und haben sich köstlich amüsiert. Als wir den Preis – also das eiserne Kreuz in Plüsch – übergaben, hat sich der Moderator auch noch gefreut. Als dann die Sätze zur eigenen Geschichte kamen, kippte die Stimmung und meinen KollegInnen wurde schnell das Mikro abgedreht.
Obwohl Du eigentlich sehr plüschig aussiehst, kannst Du manchmal auch ganz schön rabiat sein. Auf youtube kann man sich anschauen, wie Du eine nachgestellte Varusschlacht mit einer riesigen Wasserpistole aufmischst, wie Du dich mit einem Soldaten anlegst und sogar, wie Du versuchst, einem Vater mit seinem kleinen Mädchen Deutschlandfähnchen zu entwenden. Hat man da nicht manchmal Skrupel? Das Mädchen muss vermutlich in psychotherapeutische Behandlung, weil sie nachts von rosa Riesenhäschen träumt.
Also bei Soldaten habe ich keine Skrupel – die haben ja auch keine. Ich finde, dass das eigentlich zu deren Berufsrisiko gehören sollte, von rosa Tieren aller Art attackiert zu werden. Bei dem kleinen Mädchen habe ich mich entschuldigt. Ich wollte es gar nicht erschrecken, ich hatte es vor lauter Deutschlandfahnen gar nicht gesehen. Das ist immer die Gefahr von Volksgemeinschaft, dass das Individuum da gar nicht mehr sichtbar wird. Aber so zynisch, Vierjährige als Kollateralschäden zu bezeichnen, bin ich nicht. Das war so nicht geplant.
Ich selbst bin übrigens auch nicht unbeschadet davongekommen. Noch Wochen später bin ich nachts schweißgebadet aufgeschreckt, weil ich geträumt habe, in einem Meer von Deutschlandfahnen zu ertrinken. Manchmal, wenn in der U-Bahn ältere Menschen neben mir sitzen, erschrecke ich, weil ich plötzlich an Hartmut Engler denken muss. Ich glaube dann „Komm mit ins Abenteuerland“ von seiner Rockbandimitation „PUR“ zu hören.
Verrätst Du uns, welche nationale Inszenierung Du als nächstes stören wirst?
Da muss ich Eure Geduld noch etwas auf die Probe stellen. Nur soviel – zwei Aktionen stehen im November noch an. Also ab und zu mal auf meine Website schauen.