Ich fühle mich den Behörden total ausgeliefert

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Rassismus & Migration Ich fühle mich den Behörden total ausgeliefert

Ein Interview mit der Berliner Schülerin Shkurte

Shkurte ist 17 Jahre als und kommt aus dem Kosovo. Sie, ihre Eltern und ihre sechs Geschwister haben keine deutsche Staatsbürgerschaft und leben jeden Tag mit der Angst abgeschoben zu werden.

Wann und wieso sind deine Familie und du nach Deutschland gekommen?

Wir sind im März 1993 in Deutschland eingereist. Im Kosovo verschlechterte sich die Lebenssituation von Albanern zu dieser Zeit immer mehr. Menschenrechte waren egal. Du durftest die albanische Sprache nicht mehr öffentlich sprechen und hattest überall mit Diskriminierung von Seiten der jugoslawischen Behörden zu rechnen. Mein Vater konnte nicht mehr arbeiten und viele Bekannte von uns sind geflohen. Meine Eltern haben sich dann entschlossen, das Kosovo zu verlassen, um mich und meine Geschwister zu schützen. Die Entscheidung fiel ihnen nicht leicht. Sie mussten ihre Familien aufgeben und ließen alles zurück.

Und als ihr dann hier ward, wie gestaltete sich euer Leben?

Wir haben einen Asylantrag gestellt, bekamen aber nur eine Duldung, die alle drei Monate erneuert werden musste. Anfangs haben wir in einem Wohncontainer gelebt, sind dann aber in ein Wohnheim umgezogen. Die Sprache haben meine Geschwister und ich sehr schnell gelernt. Wir bekamen an Stelle von Bargeld Einkaufsschecks, die man nur in bestimmten Geschäften einlösen durfte. Generell haben wir sehr wenig Geld zum Leben, aber arbeiten darf ja keiner von uns. Für neue Klamotten oder mal ins Kino reicht es nicht.

Seit 1999 haben sie zwei Mal versucht uns abzuschieben. Mir war unsere Lage gar nicht richtig bewusst. Ich war nur froh hier bleiben zu können, wo ich mich zu Hause fühle und Freunde habe. Als dann Anfang des Jahres eine Freundin von mir abgeschoben wurde, hab' ich zum ersten Mail richtig über unsere Sitzation nachgedacht und mich genauer mit Asylrecht beschäftigt. Erst da wurde mir klar, dass unsere Situation viel schlimmer ist, als ich gedacht habe.

Wie nimmst du jetzt deine Situation wahr?

Es ist total beschissen. Andere Menschen bestimmen, ob ich zur Schule gehen darf, wo ich mich aufhalten kann und vor allem, was ich alles nicht tun darf. Eigentlich hab' ich schon eine feste Zusage für einen Ausbildungsplatz als Rechtsanwaltsgehilfin. In meinen Dokumentens teht aber ein dicker Vermerk: „Aufnahme von Ausbildung oder Studium verboten“. Ich fühl' mich in dem Punkt echt den Behörden ausgeliefert. Seitdem ich weiß, wie schnell es mit Abschiebung gehen kann, hab' ich auch ständig Angst, dass es gleich so weit ist – das ist das Schlimmste. Gerade in der Ausländerbehörde, in der man oft acht Stunden warten muss, werde ich immer ganz panisch, wenn BGS-Beamte mit Fotos durch die Gänge gehen und Leute suchen. Da denk ich immer, die nehmen mich gleich mit und ich muss raus aus Deutschland.

Bei euch an der Schule hat es ein Kunstprojekt gegeben, mit dem versucht wurde, deine Mitschüler_innen über deine Situation zu informieren. Wie ist das abgelaufen und wie waren da die Reaktionen?

Das Thema war „Umzug von Lebendinventar“, es gab für uns maßgeschneiderte Kartons, die mit Aufklebern wie „Luftpost“ und „schnellstmöglich nach Kosovo“ beklebt waren. Außerdem konnte man sich ein Interview anhören, bei dem ich meine Geschichte erzählt habe. Außerdem gab es Umfragezettel „Was würdest du in so einer Situation tun?“. Oft wurde darauf geantwortet: Selbstmord. Kein toller Vorschlag. Wir haben auch Unterschriften gesammelt. Viele Leute sind auf mich zugekommen. Sie waren geschockt, weil sie auch gar keine Ahnung hatten, dass so was in Deutschland passiert und wollten gleich etwas dagegen unternehmen.

Wollt ihr an eurer Schule noch mehr zu dem Thema machen?

Ja, auf jeden Fall. Wir planen gerade eine Projektwoche, bei der ein Film über den Alltag von Flüchtlingen in Berlin gedreht wird. Außerdem soll es Arbeitsgruppe rund ums Thema „Antirassismus“ geben. Wir wollen uns kreative Aktionen zur direkten Unterstützung von abschiebebedrohten Schüler_innen ausdenken. Am besten wäre es natürlich, wenn wir uns mit allen Berliner Schulen zusammentun würden – denn das Thema Abschiebung geht alle an!

erschienen in:
Kein Mensch ist illegal! Magazin der Naturfreundejugend (2003))