Entknastung und Corona

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Entknastung und Corona

Ein Text der Entknastungs-Gruppe der Naturfreundejugend Berlin

Aus Angst vor der Verbreitung des Coronavirus in den Gefängnissen, muss in Berlin in den nächsten vier Monaten niemand mehr eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen. Die Entscheidung dazu war nicht kontrovers und kam schnell. Erstaunlich schnell. Wieso hatte niemand Bedenken, diese Strafe, die immerhin für etwa 11% der Inhaftierten verantwortlich ist, einfach auszusetzen? Weil eigentlich alle wissen, dass diese Menschen nicht gefährlich sind. Es ist vor allem peinlich für unsere Gesellschaft, dass Leute deswegen im Knast landen.
Die Ersatzfreiheitsstrafe ist nämlich so etwas wie eine rechtsstaatliche Verlegenheit. Die Leute, die eine solche Strafe absitzen, sollten eigentlich gar nicht in den Knast. Ihnen wird meist nur eine Bagatelle vorgeworfen für die sie eine Geldstrafe zahlen sollten: Fahren ohne Fahrschein, Ladendiebstahl oder Drogenkonsum. Wer aber die Kohle nicht hatte um sich ein Ticket zu kaufen, kann auch die Geldstrafe oft nicht zahlen. Und weil unserem Staat lieber den Leuten selbst die Schuld für ihre schwierige Lebenslage zuschiebt– als beispielsweise für eine Ausreichende Grundsicherung zu sorgen – landen die Leute dann im Knast: Strafpolitik statt Sozialpolitik.
Viele der Leute, die deshalb einsitzen, sind langzeitarbeitslos, obdachlos, alkohol- oder drogenabhängig, teilweise sogar suizidgefährdet. Dass eine Freiheitsstrafe ihre Situation nicht verbessert, ist offensichtlich. In der Regel verschlechtert sich die finanzielle Situation der Leute nach einem Knastaufenthalt eher und Job und Wohnungsverlust drohen. Viele sitzen deshalb regelmäßig ein.
Dass die Ersatzfreiheitsstrafe nun ausgesetzt wurde, ist gut. In vier Monaten aber wird es weitergehen wie bisher. Und angesichts der Tatsache, dass viele Menschen gerade ihren Job verlieren, werden bald noch mehr Menschen aus Armut in den Knast gehen. Das macht nur nochmal sichtbar, wie sehr wir hier eine andere Politik brauchen. Statt massenhafter Inhaftierungen nach Corona brauchen wir beispielsweise ein bedingungsloses Grundeinkommen, einen kostenfreien öffentlichen Nahverkehr und eine entkriminalisierende Drogenpolitik: Sozialpolitik statt Strafpolitik!
Mehr Infos unter: https://ersatzfreiheitsstrafe.de/

Der Artikel erschien zuerst Ende März in der Zeitung "Berliner Alltag".
Foto: Friman | CC-BY-SA 3.0