Die Party beginnt im Kopf
Die Party beginnt im Kopf
Deutschland feiert sich selbst
15 Jahre deutsche Einheit. Nachdem Anfang Mai noch auf Anordnung getrauert und dem 60-jährigen Ende des 2. Weltkrieges gedacht wurde, wird nun kollektiv das neue, geläuterte Deutschland gefeiert. Am 02. und 03. Oktober soll in Potsdam dann also der angeblich wichtigste Feiertag der Republik alljährliches Nationalgefühl wecken. Die herbeiströmenden Massen sollen sich kuschelpartygleich als zusammengehörige Einheit fühlen und dabei schön Deutschlands massig vorhandenen Schattenseiten und all die abgerissenen und wieder aufgetürmten Mauern (in den Köpfen) vergessen. So ähnlich wird sie wohl aussehen, die Party vom Einheitsbrei.
Doch nicht nur die Leute, die auf Partys nichts trinken dürfen, weil sie noch fahren müssen und erst recht die, die gar nicht erst eingeladen wurden, wissen nur zu gut: Die Party beginnt im Kopf. Es feiert sich nun mal einfach besser, wenn sich so richtig drauf gefreut wird. Nur zu gut lässt sich das auch auf die Gastgeberin der nächsten Tage übertragen. Reicht euch die Hände, eine Nation feiert sich selbst!
Deutschland, einig bla bla bla.
Schon unter Helmut-Kanzler der Einheit-Kohl konnte gemeinsam vergessen, verdrängt, verdreht und verschwiegen werden. Da dröhnte aus allen Ecken des Landes ein „Wir sind das Volk“ als Ausdruck eines geeinigten Nationalbewusstseins. Da wurde flott mal das Asylrecht abgeschafft und nebenbei brannten unter tosendem Beifall AsylbewerberInnenwohnungen von Rostock bis Mölln. Doch erst unter der rot-grünen „Berliner Republik“ wurde DIE politische und moralische Erneuerung Deutschlands möglich, auf all die gewartet zu haben schienen, die sich für ihre Deutschlandfeierei nicht mehr schämen wollten. Fleißig wurde nun aufgeräumt in den Köpfen, frei nach dem Motto „Ein anderes Deutschland ist möglich!“.
Beinahe stellt sich Mitleid ein, wenn man/frau Gerhard Schröder im August 2002 von „unserem deutschen Weg“ reden hört. Nicht nur, dass Deutschland nun ein stolzes und solidarisches Land sei, dass sich „seine Leistungen nicht mehr mies machen lässt“. Nein, es „genießt [auch] Respekt und Ansehen in der Welt“, denn nun ist es ganz offiziell „Partner und Vorbild“. Deshalb müssten nun „unsere nationalen Interessen nicht mehr versteckt werden“.
Das Motto für die Party wurde spätestens jetzt klar und die Einladungskarten waren schon lange verschickt. Da sollte nun also gefeiert werden, dass wir ja alle so nett zueinander sind, es eigentlich auch immer waren und nun endlich volle Dröhnung stolz darauf sein durften. Ein neuer rot-grüner Zivilgesellschaftsnationalismus betrat die politische Bühne, zusammen mit 'ner ordentlichen Portion Geschichtsrevisionismus und den alten Bekannten Antiamerikanismus und Antisemitismus.
In ist, wer drin ist
Deutschland will sich mittlerweile gar nicht mehr zu erkennen geben, so viele neue Gesichter wurden ihm in den letzten sechs Jahren gegeben. Nicht trotz, sondern gerade wegen Auschwitz fühlte sich Außenminister Fischer verpflichtet, Deutschland 1999 am Kosovo Krieg zu beteiligen. Selbstverständlich konnten nun mit den gleichen Argumenten auch Kriege, wie 2002 der Irak Krieg, lauthals abgelehnt werden. Im tosenden Demotaumel wurde dann eben auch mal schnell US-Präsident Bush mit Hitler verglichen.
Es war vollbracht, Deutschland konnte sich als „Friedensnation“ endlich wieder sehen lassen.
Wer immer noch nicht bekehrt war, sollte schließlich durch die neue, unbefangene Popkultur begeistert werden. Egal ob Musik, Mode oder Film, wo jetzt „deutsch“ draufsteht, ist auch wirklich „deutsch“ drin. Der SPD-Pop war geboren! Ob nun unter schwarz-rot-goldenem Deckmäntelchen Radioquoten für deutsche Musik gefordert werden, fröhlich-flippige Bands wie MIA oder Sportfreunde Stiller in allerlei Wortspielen das „Projekt D“ besingen, spätpupertäre Jungs mit Reichsadler um den Hals und Deutschlandfahne schwenkend irgendwas davon faseln, nun endlich Musik für deutsche Kids zu machen oder Techno-Opas wie Peter Heppner von Wolfsheim und Paul van Dyk gleich in offensiven „Wir sind wir“ Stammtischparolen à la „Aufgeteilt, besiegt und doch schließlich gibt es uns ja immer noch“ die historische "Opfergemeinschaft“ Deutschland neu entdecken, sie alle schreiben ihre ganz persönlichen Heimatlieder und dürfen sich nun endlich so richtig „up to date“ damit fühlen. Untermalt wird dieser ganze Freudentaumel durch die neuesten Deutschlandfilmchen im Kino. Bei den Bildern von „Das Wunder von Bern“, „Napola“ oder „Der Untergang“ macht es keinen Unterschied, ob da nun um Fußballer, Jugenddramen im Nazieliteinternat oder alte senile Diktatoren geflennt wird, Hauptsache Deutschland kommt gut dabei weg.
Aufräumarbeiten
Doch was da mächtig gewaltig nach Verdrehung und Relativierung deutscher Geschichte stinkt, wird lediglich als neuer Blickwinkel verkauft. Es sei nun endlich an der Zeit diese dunkle Vergangenheit hinter sich zu lassen und frohen Mutes nach vorne zu schauen. Verantwortlich wären wir nun mal einfach nicht und ein Schlussstrich müsste endgültig unter allem gezogen werden. Alle wissen also Bescheid, aber keiner hört zu. Lieber wird vom „Bombenkrieg“ auf Deutschland gefaselt, werden fröhlich Opfervergleiche gemacht oder Geschichte so hingedreht, dass nun auch die letzten Großeltern eine weiße Weste haben.
Wie unbefangen Deutschland seine Geschichte entsorgt, konnte wunderbar bei den Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus in Berlin beobachtet werden. Da wurde unentwegt beteuert so wunderbar aus der Geschichte gelernt zu haben, was wiederum in die Berechtigung umgedeutet wurde, nun endlich wieder selbstbewusst und großmachtstrebend wie eh und je auftreten zu dürfen.
Get the party started…
Hurra, mit all diesen guten Vorsätzen wird die Party sicher zu einem wahrhaftigen Saufgelage! Da ist es fast egal, welche Deutsch-Fraktion die Bundestagswahl gewinnen wird, das neue deutsche Selbstbewusstsein ist bereits aufgetischt.
Es wird uns gar nichts anderes übrig bleiben, als die Party der geeinten Deutschlands am 03. Oktober zu stürmen. Denn die besten Partys sind stets die, zu denen man/frau nicht eingeladen wurde. Dort lässt es sich am besten pöbeln. Deutschland - Nicht kleckern, kotzen!
erschienen in:
Null Gründe zu feiern! (2005)