Also ich ona-nie!
Also ich ona-nie!
Zwischen Stiefmütterchensex und freier Liebe
Sexualität - ein Thema, das die Menschen beschäftigt, seit sie auf der Erde weilen. Der Stellenwert der Sexualität in der öffentlichen Diskussion ist stets davon abhängig, in welchen gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen wir leben.
Die Vorstellungen und das Ausleben von Sexualität waren im Laufe der Zeit einem steten Wandel unterworfen. Hier und jetzt ist man allerorts mit Sex konfrontiert, sei es durch Werbung, durch Erotiksendungen wie „Wahre Liebe“ oder durch das ständige Gerede über Sex im Privaten, in Funk und Fernsehen.
Erstaunlich ist der zu beobachtende Trend dahin, dass trotz der ungeheuer sexualisierten Welt Formen von Beziehungen, die an die Zeit vor der „sexuellen Revolution“ erinnern, immer begehrter werden. Monogame Zweierbeziehungen bis zum Heiraten sind gerade die kultigsten Modelle der trauten Zweisamkeit. Wie kann das sein, da wir doch scheinbar alle Möglichkeiten haben, die abgefahrendsten Sachen auszuprobieren und es doch nicht mehr verpönt ist, mehrere Partner gleichzeitig zu haben! Oder ist es das doch noch?
An dieser Stelle wird deutlich, dass trotz - oder vielleicht auch wegen - sehr offenem Umgang mit Sex in den Medien wieder eine miefige Bürgerlichkeit im Bereich der Sexualität Einzug erhält. Erotiksendungen werden als Dokumentation von abgefahrenen Spinnern, die ihre sexuellen Vorlieben ausleben, angesehen, die aber nichts mit einem selbst zu tun haben. Das Ausleihen von Pornos oder der Besuch in einem Swinger-Club sind immer noch „dreckige“ Angelegenheiten und gehören nicht zu einem „normalen“ Sexualleben. Auf der einen Seite wird man mit sexuellen Reizen und Auslebungsmöglichkeiten überschüttet, auf der anderen Seite gibt es klar abgesteckte Grenzen in Form von allgemein gesellschaftlicher Anerkennung, die man recht schnell zu spüren bekommt. Noch immer gelten für Männer und Frauen unterschiedliche Regeln, was in Ordnung ist und was nicht. Die Zeiten, in denen eine Frau mit vielen Sexualpartnern als „Schlampe“, ein Mann jedoch in der gleichen Situation als toller Hecht bezeichnet wird, haben wir noch längst nicht überstanden. Der angeblich freie Umgang mit Sexualität in der Öffentlichkeit ist also nur ein neuer Umgang, der noch ausreichend diskriminierende und normierende Momente birgt. Junge Menschen bewegen sich nun zwischen dem meist spießigen Elternhaus und dem mittelalterlichen Aufklärungsunterricht - in dem tatsächlich nur von Eisprung, Befruchtung, Geburt die Rede ist und nicht von den Möglichkeiten, wie man/frau sich „gekonnt“ einen runterholen kann - und der Medienwelt, gespickt mit sexuellen Reizen. Da ist es leicht nachvollziehbar, dass Verwirrung auftritt und der Mut und die Lust, selbstbestimmt das eigene Sexualleben zu entdecken, auf der Strecke bleiben.
Erschienen in
Submarine 2003-2
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