Mobile Grenzen – Lampedusa und die italienisch-europäische Flüchtlingspolitik

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Rassismus & Migration Mobile Grenzen – Lampedusa und die italienisch-europäische Flüchtlingspolitik

Die süditalienische Insel Lampedusa ist neben den Kanaren und dem südspanischen Tarifa ein wichtiger Anlaufpunkt für afrikanische Boatpeople. An ihrem Beispiel lässt sich gut analysieren, welche Auswirkungen das ständig verschärfte europäische Grenzregime und die italienische Migrationspolitik auf die Flüchtlinge haben. Wer es von Libyen aus überhaupt noch nach Lampedusa schafft, den erwarten Abschiebung oder Illegalisierung.

»Neue Flüchtlingswelle nach Süditalien«, »330 Flüchtlinge auf italienischer Insel Lampedusa gelandet«, »Afrikanische Auswanderer vor Tunesiens Küste ums Leben gekommen« – so lauten aktuelle Schlagzeilen über die Migrationsbewegungen im Mittelmeer. Inzwischen kaum noch Erstaunen oder Empörung auslösend, thematisieren die Meldungen die Situation für migrierende Menschen und die politischen Zusammenhänge aber kaum. Dabei hat sich das europäische Grenzregime in den letzten Jahren stark verändert, gerade auch in Italien.

Eine Wende in der Flüchtlingspolitik Italiens hat insbesondere der Fall Cap Anamur im Jahr 2004 eingeläutet, erläutert Enrico Montalbana vom Antirassistischen Rat Siziliens (Rete Antirazzista Sicialana). Als damals das Schiff der deutschen Hilfsorganisation Cap Anamur/ Deutsche Notärzte e.V. 37 Boatpeople im südlichen Mittelmeer aufnahm und nach Sizilien bringen wollte, wurde das Schiff beschlagnahmt und der Kapitän festgenommen. In vielen europäischen Medien wurde breit darüber berichtet. Montalbana: »Italiens Regierung hat mit Zypern und Deutschland ein Ballspiel angefangen, da keiner die Flüchtlinge aufnehmen wollte, um keinen Präzedenzfall zu schaffen.« Das repressive Vorgehen gegen die Cap Anamur sollte folgende Botschaft senden: Alle Flüchtlinge, die Asyl beantragen wollen, werden zurück geschickt.

Trotz der Abschreckungspolitik sind 2007 laut UN-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) 12.201 Menschen allein auf Lampedusa gelandet. Insgesamt kamen knapp 20.000 Menschen auf dem Seeweg in Italien an. Gerade mal 20 Prozent von ihnen wurden offiziell als asylsuchende Flüchtlinge anerkannt. Etwa tausend Menschen kamen in den letzten 15 Jahren ums Leben.

Präsidiale Aufgabenteilung

Seit März 2006 arbeitet das so genannte PRAESIDIUM-Projekt auf Lampedusa. Offizielles Ziel ist die Humanisierung der Ankünfte von »sbarchi«, also Menschen, die auf Booten von Afrika nach Europa migrieren. Das von der EU und dem italienischen Innenministerium finanzierte Projekt, in dem das italienische Rote Kreuz, das UNHCR und die Internationale Organisation für Migration (IOM) zusammenarbeiten, wurde seit Juni 2007 auf ganz Sizilien ausgeweitet. Zukünftig soll es auch in Apulien, Kalabrien und Sardinien durchgeführt werden.

Paolo Cuttita, der als Politikwissenschaftler in Palermo zu Migration arbeitet, erklärt: »In Lampedusa ist alles, was rechtlich gefordert werden konnte, jetzt vorhanden.« Doch das mache es umso schwieriger, das Migrationsregime zu kritisieren. Denn die Ankunft der Flüchtlinge werde nun ebenso wie die so genannten Rückführungen von NGOs gemanagt. Besondere Erwähnung finden in den Dokumenten von PRAESIDIUM Frauen und unbegleitete Minderjährige, die getrennt in Auffanglagern untergebracht sind. Um festzustellen, ob die Altersgrenze der Minderjährigkeit tatsächlich noch nicht überschritten ist, begleiten MitarbeiterInnen des Roten Kreuzes die betreffenden Personen zu Röntgenaufnahmen, die nur der Altersfeststellung und keinen medizinischen Zwecken dienen. Die im PRAESIDIUM-Projekt aktiven Organisationen sollen dafür sorgen, dass die Gesetzgebung in Sachen Asylstatus eingehalten wird.

Die Asylsuchenden, die gar nicht dazu kommen, einen Antrag zu stellen, bleiben laut Cuttita trotz PRAESIDIUM unsichtbar für die Öffentlichkeit, die abgelehnten ebenfalls. Die strukturelle Gewalt, die Menschen nach Nationalität sortiert und zur Verhandlungsmasse in internationalen Staatenbeziehungen macht, werde in Italien nur von einzelnen WissenschaftlerInnen und Linken kritisiert, so Cuttita. Zivilgesellschaftlicher Druck gegen die herrschenden Zustände formiere sich kaum.

Proteste gab es immerhin gegen die unmenschlichen Zustände im alten Aufnahmelager für Flüchtlinge in Lampedusa. Inzwischen wurde ein neues Lager zur Unterbringung gebaut. Hier sind nun bis zu 800 Menschen außerhalb der Sichtweite des Dorfkerns und des Flughafens untergebracht, statt wie im alten Centro di Permanenza Temperonea e Assistenza 180 Personen. Doch de facto hat sich die Situation kaum verbessert. Das neue Lager und die Zusammenarbeit der dort tätigen Organisationen verhindern nicht, dass es erneut überfüllte Unterkünfte und Todesfälle gibt.

Kleine Boote, große Gefahren

Viele Menschen kommen gar nicht in Europa an, obwohl sie sich auf den Weg gemacht haben. Denn das europäische Grenzregime begegne den Menschen bereits in Libyen, so Cuttita. Es fände eine Flexibilisierung der Grenzen statt, sowohl nach innen als auch nach außen. Durch die zunehmende Überwachung bereits in Libyen und im südlichen Mittelmeer werden die Flüchtlingsboote immer kleiner, um die Kontrollen zu umgehen. Damit wird die Überfahrt jedoch immer gefährlicher, berichten MitarbeiterInnen des UNHCR und der Ärzte ohne Grenzen.

Libyen spielt erst seit 2006 eine größere Rolle in der Migration. Fulvio Vassallo Paleologo, der sich beim juristischen Netzwerk ASGI für die Rechte von MigrantInnen einsetzt, berichtet von verheerenden Zuständen: »Die libysche Polizei lässt sich von den Flüchtlingen bezahlen, damit diese die Auffanglager verlassen dürfen. Wer die zwei- bis dreitausend Euro für die Fortsetzung der Reise nicht hat, muss in Zwangsarbeitsstrukturen arbeiten. Sie werden gezwungen, neue Lager zu bauen, aber auch Privathäuser für Polizisten. Das sind Sklavenbeziehungen, die da vorherrschen.« Kein europäisches Land, das Wirtschafts- oder Migrationsverträge mit Libyen hat, schreite dagegen ein. Besonders drastisch sei die Situation für Frauen, so Paleologo. 80 Prozent der in Lampedusa ankommenden Frauen seien in Libyen missbraucht worden.

Krieg zwischen den Armen

Die Menschen, die es schaffen, nach Italien zu gelangen, nur um dann dort keinen Flüchtlingsstatus zu bekommen, werden von den Behörden aufgefordert, das Land zu verlassen. Sie sind damit illegalisiert, wenn sie bleiben. Viele von ihnen verrichten als illegal beschäftigte Arbeitskräfte all die Arbeiten, die besonders unsicher, anstrengend und schlecht bezahlt sind. Genutzt wird dies in großem Maße in der Landwirtschaft, wo MigrantInnen als Tagelöhner dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

Piedro Milazzo von der Immigrationsabteilung der Gewerkschaft CGIL erklärt, dass sich die MigrantInnen innerhalb Italiens weiterhin auf einer Reise befinden: Sie bewegten sich der saisonalen Nachfrage folgend von einem Ort zu anderen. Es gäbe allein auf Sizilien 25.000 Menschen, die unter Sklavenbedingungen arbeiten, so Milazzo. Sie leben weit entfernt von den Städten, ohne sichere Unterkünfte und mit schlechten hygienischen Zuständen. Teilweise arbeiteten sie wochenlang unbezahlt. Milazzo sieht die Zukunft pessimistisch. Es werde immer häufiger soziale Zusammenstöße geben, denn zwischen den ItalienerInnen aus den unteren Schichten und den MigrantInnen würden die Auseinandersetzungen härter: »Wir riskieren, dass es einen Krieg geben wird zwischen den Armen und den Ärmsten.«

Die gewerkschaftliche Organisation der illegalisierten ArbeiterInnen in Italien hat gerade erst begonnen. Erschwert wird sie nun durch die von Milazzo befürchtete und inzwischen eingetretene Wiederwahl Berlusconis. Damit würde die italienische Migrationspolitik immer repressiver, so seine Prognose. Denn Berlusconi will die Zuwanderung unbedingt eindämmen. Im Parlament soll unter anderem beschlossen werden, illegale Einwanderung als Straftat mit Haftstrafen von sechs Monaten bis zu vier Jahren zu behandeln. Die Verbesserungen in den Lagerunterkünften, unter anderem auf Lampedusa, sieht Milazzo kritisch: »Es kann keine humanen Lager geben. Sie müssen geschlossen und der Status der Menschen legalisiert werden.«

Unterstützung im Centro Sociale

Dass es in Italien aber auch praktizierte Gegenwehr zur repressiven Flüchtlingspolitik gibt, verdeutlicht das »Laboratorio Zeta« in Palermo. Die ehemalige Schule ist seit sieben Jahren besetzt und seit vier Jahren in zwei Teile aufgeteilt. Der eine Teil ist als Centro Sociale ein fester Anlaufpunkt für ein linkes Publikum. Derzeit wird eine Bibliothek aufgebaut, Lesungen finden statt, Filme werden gezeigt und Parties veranstaltet. Im anderen Teil des Geländes leben etwa 20 SudanesInnen selbstverwaltet. Über 400 von ihnen haben das Laboratorio in den vergangenen Jahren bereits als Anlaufstelle genutzt und sind eine Woche oder gar ein Jahr geblieben. Hier nehmen sie Rechtsberatung in Anspruch, eine Kooperation mit einer Schule ermöglicht einen Bildungsabschluss, und sie lernen Italienisch.

Loriana Cavaleri, eine der Organisatorinnen des Laboratorio, erklärt, dass die SudanesInnen teilweise politisch Asylsuchende seien und ihnen damit eigentlich vom Staat eine Unterkunft zur Verfügung gestellt werden müsse. Bis heute hat die Gemeinde Palermo jedoch keine akzeptable angeboten. Von der Gemeinde und der Polizei wird das Laboratorio toleriert, da der Rückhalt in der linken Szene stark ist. Das Centro Sociale ist ein Ort, an dem versucht wird, die Migrierenden zu befähigen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, obwohl sie die Grenze immer wieder zu spüren bekommen.

(Der Beitrag entstand im Rahmen einer politischen Reise des Arbeitskreises »no fortress europe« der Naturfreundejugend Berlin im April 2008 und erschien in: iz3w - informationszentrum 3. Welt - Ausgabe 307 - Juli/August 2008)