Von Leerstellen und Lehrbüchern
Von Leerstellen und Lehrbüchern
Der deutsche Kolonialismus in Geschichtsbüchern
Das Deutsche Reich war seit 1884 offiziell Kolonialmacht, Preußen hielt zwischen 1682 und 1720 koloniale Gebiete in Westafrika. In Deutschen Schulbüchern kommt diese Epoche entweder gar nicht oder nur in verharmlosender Form vor.
Die deutsche Kolonialgeschichte prägt die deutsche Politik bis heute. Die Themen sind vielfältig. Seien es die von der Bundesregierung abgelehnten Entschädigungsforderungen für den von den Deutschen zwischen 1904 und 1907 im heutigen Namibia verübten Völkermord an den Herero und Nama, sei es der Kampf von Nachfahren der von deutschen Männern mit afrikanischen Frauen gezeugten Kinder um die deutsche Staatsbürgerschaft. Diese wird ihnen mit Verweis auf das kolonial geprägte Staatsangehörigkeitsrecht bis heute nicht zugebilligt. Dass diese Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen werden, hat sicher auch mit einem Geschichtsbild zu tun, das den deutschen Kolonialismus entweder ganz ausblendet oder ihn als eine kurze, unbedeutende Epoche abtut.
Bismarckreden und Schulstatistiken
Wo in deutschen Schulbüchern Kolonialismus thematisiert wird, finden sich zur Illustration häufig Reden von deutschen Politikern wie Otto von Bismarck. Was die abgewogenen Worte des Reichskanzlers für die Realität der kolonisierten Afrika ner_innen und Asiaten_innen bedeuteten, bleibt dabei allerdings unklar. Die breite koloniale Begeisterung in Deutschland, die mit der Etablierung bis heute wirkender rassistischer Vorstellungen über Afrika und Asien einherging, wird mit keinem Wort erwähnt. Stattdessen soll man anhand einer Statistik diskutieren, „welchen Nutzen [...] die Schulbildung für die Afrikaner und welchen für die Kolonialmacht“ hatte. Die Zahlen stammen aus einem Buch von 1914 und sind selbst Teil kolonialer Propaganda, die behauptete, Schulen würden zum Nutzen der Kolonisierten errichtet.¹ Da dieser Zusammenhang nicht mal ansatzweise problematisiert wird, fällt es schwer, hierin etwas anderes als die unterschwellige Fortsetzung kolonialer Propaganda im 21. Jahrhundert zu sehen.
Viele spannende Fragen werden hingegen nicht gestellt. Wie zum Beispiel die nach den geraubten Kunstgegenständen aus Afrika und Asien, die noch heute die Ausstellungen und Magazine deutscher Museen füllen. Und die rassistisch motivierten Beiträge zu den Reichstagsdebatten, wie man verhindern kann, dass Schwarze Kinder die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen? Auch über sie erfährt man in deutschen Schulbüchern nichts.
Koloniale Verleugnungsstrategien
Wenn man einschlägige Hilfsmittel zur Vorbereitung auf die Abitur-Prüfungen zur Hand nimmt, bekommt man sogar den Eindruck, deutschen Kolonialismus habe es nie gegeben.² Und wo von dieser Unterschlagung abgewichen wird, erfahren wir lediglich: Bismarck wollte keine Kolonien „erwerben“, vielmehr waren es deutsche Kaufleute, die ihn dazu brachten.³ Kein Wort über die deutsche Kolonialbewegung, die nicht nur Handel betreiben, sondern ein Auffangbecken für die Auswanderung schaffen wollte, an die Ausgewähltheit und Sendung der eigenen Nation glaubte und innenpolitische Probleme „nach außen“ gewendet zu lösen trachtete. Der deutsche Kolonialismus war nicht einfach die Machenschaft einiger Handelsleute, er war Teil eines sich auf alle Bereiche der Gesellschaft erstreckenden Projekts. In Kunst, Medizin, Recht und Architektur, um nur einige Beispiele zu nennen, lassen sich bis heute tiefe Spuren dieser Vergangenheit ablesen.
Die Gegenwart des deutschen Kolonialismus
Was hat also der deutsche Kolonialismus mit der Gegenwart zu tun? Sehr viel, aber auch darüber erfahren wir in einschlägigen Unterrichtsmaterialien nichts. Durch koloniale Ausbeutung wurden auch die kolonisierten Gesellschaften als ganze geprägt: die Entwicklung ihrer Bevölkerung, ihres Reichtums – und nicht zuletzt ihrer Wirtschaft. Der Kolonialismus zerstörte Lebensgrundlagen und baute ganze Ökonomien zur Bereicherung der Europäer_innen um. Der Verlauf von Eisenbahnlinien in vielen afrikanischen Ländern ist bis heute ein eindrucksvolles Bild dafür: von den Gold-, Kupfer- und Diamantminen zu den Häfen. An die Mobilität der Menschen wurde genauso wenig gedacht, wie an eine zur Selbständigkeit befähigende Schulbildung. Und wenn man heute unter die Lupe nimmt, was in vielen ehemaligen Kolonien überhaupt produziert wird/werden kann, zeigt sich eine vollständige Ausrichtung auf die Bedürfnisse Europas und Nordamerikas.
Was taugt vor diesem Hintergrund das Themenheft Globalisierung der Bundeszentrale für politische Bildung aus dem Jahr 2003, das in dem Abschnitt über die „historischen Grundlagen“ der heutigen weltwirtschaftlichen Verflechtungen Kolonialismus nicht einmal erwähnt?
Gute Informationen, über das, was nicht in euren Schulbüchern steht, gibt es bei der Naturfreundejugend (info@naturfreundejugend- berlin.de) oder hier:
• Winfried Speitkamp: Deutsche Kolonialgeschichte, Stuttgart 2005 (Reclam Verlag).
• Ulrich van der Heyden/Joachim Zeller (Hg.): „... Macht und Anteil an der Weltherrschaft“. Berlin und der deutsche Kolonialismus, Münster 2005 (Unrast Verlag).
Fußnoten
¹ Beispiel aus: Hilke Günther- Arndt (Hg.):
Geschichtsbuch 3. Die Menschen und ihre Geschichte in Darstellungen und Dokumenten
, Berlin 1993 (Cornelsen Verlag).
² Volker Frielingsdorf:
Fit fürs Abi, Aufgaben-Trainer, Geschichte. 12. und 13. Schuljahr
, Braunschweig 2004 (Schroedel Verlag).
³ Hermann Dichtl:
Geschichte. Vorbereitung auf das Abitur
, Stuttgart 2001 (Manz Verlag).