Travelling the borderline!
Travelling the borderline!
Das Mittelmeer als Reiseziel – wer denkt an Urlaub, Sonne, Strand? Wer denkt an Stacheldraht, Angst, Tod?
Im Juni/Juli 2007 organisierte die Naturfreundejugend Berlin eine Veranstaltungsreihe zu Flucht, Migration und Reisen. Nun planen wir im Frühjahr 2008 eine politische Reise nach Italien, ans Mittelmeer – Sizilien, Lampedusa.
Die Mittelmeerküste Italiens ist der Ankunftsort vieler Migrant_innen aus Afrika, die grossen Gefahren ausgesetzt sind und kaum willkommen geheissen werden. In Europa erwarten sie rassistische Kontrollen, Internierung oder ein entrechtetes Leben. Doch es gibt Widerstand gegen die Hochrüstung der Grenzen, gegen das unmenschliche Aussortieren vermeintlich guter und schlechter Migrant_innen, gegen die Illegalisierung und Ausbeutung von Menschen, die nach Europa einreisen.
Unsere Reise soll ein Versuch sein, Aktivist_innen in direkten Austausch treten zu lassen. Doch wie gehen wir es an? Mit welchen inhaltlichen Prämissen fahren wir? Reisen wir als politische Protestdelegation oder geht es uns vor allem darum zu dokumentieren, uns selbst als Aktivist_innen ein Bild zu machen, das wir nicht in den Medien finden? Vernetzen wir den antirassistischen Widerstand in Europa? Uns erscheint es kontrovers genug, eine solche Reise zu unternehmen. So let's challenge our minds and exchange ideas!
Dies waren die Themen der Veranstaltungen:
Catch me if you can – Überwachungstechnologien an den Grenzen Europas
Sicherheitstechnologien werden häufig als Rettung vor dem Ertrinken im Mittelmeer deklariert. Sie führen letztlich allerdings dazu, dass Migrant_innen immer gefährlichere Wege wählen, um das Mittelmeer zu überqueren. Fluchtwege werden zerschlagen und Fluchthelfer kriminalisiert. Diese so genannte Sicherheitspolitik, die klar militärpolitische Züge trägt, präsentiert sich als "europäisches Gewissen" gegenüber den "skrupellosen Schleusern". Vielmehr repräsentiert sie aber ein modernes Migrationsregime, in dem Rüstungsindustrie, Sicherheitsforschung, Migrationspolitik genauso wie aussenpolitische Einflussnahmen weit über den Kreis der EU-Beitrittskandidaten Hand in Hand gehen. Neben einem Einblick in die aktuelle Situation am Beispiel Lampedusas, auf der Uniformierte und Militärfahrzeuge zum Alltag gehören, fragt die Veranstaltung nach den Interessen hinter der Aufrüstung der europäischen Grenzen. Wird der Mittelmeerraum zum Experimentierfeld für neue überwachungstechnologien? Und ist "Festung Europa" überhaupt der richtige Begriff für ein modernes Migrationsmanagement? Führen nicht der Strategiereichtum der Migrant_innen und ökonomische Interessen dazu, dass Abschottung scheitern muss?
Strangers in Paradise – Tourismus und Migration
Der Begriff "Fremdheit" weckt sowohl Sehnsüchte als auch ängste. Während der Wunsch nach "Entdeckungen des Fremden" jährlich zahlreiche Deutsche in die Ferne zieht, nimmt gleichzeitig die Abschottung in Europa zu. "Fremdheit" und Differenz wird je nach Kontext unterschiedlich gewertet. Die Grenze fungiert dabei als ein Ort rassistischer Kontrolle, der das "Eigene" und das "Fremde" trennt.
Wie ist die Bedeutung der Bewegungsfreiheit für Deutsche bei gleichzeitigem Ausschluss von Migrant_innen zu erklären? Wie trägt Tourismus aus welchen Gründen zur Aufrechterhaltung von rassistischen Stereotypen bei? Welche Grenzüberschreitungen sind aus welchen Gründen erwünscht, welche nicht?
Die unsichtbare Dritte – Frauen und Migration
Wer an Flüchtlinge denkt, stellt sich meist Männer im Alter zwischen 25 und 35 Jahren vor. In der öffentlichen Wahrnehmung wird und wurde die migrierende Frau lediglich auf ihre Rolle als Hausfrau reduziert. Schon immer aber migrieren Frauen aus ihren Heimatländern nach Europa. Dabei arbeiten die Migrantinnen hierzulande häufig, scheinbar unsichtbar, in den klassisch weiblichen Arbeitsfeldern als Kindermädchen, Putzfrau oder Altenpflegerin.
Was erwartet diese Frauen auf ihrer "Reise", in Flüchtlingslagern oder an ihrem Arbeitsplatz im "zivilisierten" Europa? Und wie wird die migrierende Frau bei uns wahrgenommen? Welche Vorurteile kommen dabei zutage und inwiefern vollzieht sich die Emanzipation deutscher Frauen auf dem Rücken der im Haushalt arbeitenden Migratinnen?
Check in for another world – Flüchtlingslager – vom Begriff zur Wirklichkeit
Das Einsperren einer grossen Zahl von Menschen in Lagern und die damit einhergehende Entrechtung und Entmenschlichung reichen weit zurück in die europäische Kolonialgeschichte. Inner- und ausserhalb der EU gibt es heute Lager für Flüchtlinge in verschiedensten Ausführungen – das Auffanglager in Lampedusa ist anders als die dem Schengenraum vorgelagerten Flüchtlingslager etwa in Lybien, diese anders als Asylbewerberheime oder die Abschiebeknäste in Deutschland. Alle aber bilden sie einen rechtlosen Raum inmitten der Gesellschaft, in dem eine andere Wirklichkeit herrscht, die nicht zur Normalität gehört. Was ist eigentlich ein Lager? Woher kommt der Begriff und was soll die Installation eines solchen? Ausbeutung, Einschüchterung, Ermordung? Schnell errichtet und billig unterhalten. Zur Abschreckung und Ausgrenzung?
"Mein Afrika" – Deutschlands und Europas rassistische Sicht auf Afrika
Bekannt sind die Bilder von verzweifelten Flüchtlingen, welche die überfahrt in überfüllten Booten über das Mittelmeer nach Europa wagen. Einmal angekommen werden aus der gesichtslosen Masse hilfebedürftigter Flüchtlinge aus Afrika die anrüchigen Wirtschaftsflüchtlinge, die kriminellen Ausländer, die Machos, die Provinziellen und Ungebildeten… Viele Menschen wollen dem Elend entfliehen, für das Europa mitverantwortlich ist. Der Reichtum und Wohlstand Westeuropas sind zu grossen Teilen ein koloniales Erbe.
Dies steht in krassem Kontrast zum abenteuerlustigen Deutschen, der in Serien wie "Deutschland ade" (ARTE, SWR, WDR) und Sonderreportagen wie "... und Tschüss! Abenteuer ‚Auswandern'" (VOX) aus Deutschland auswandert. Die Diskussionen verlaufen zwischen den Spannungspunkten eines kolonial verklärten Afrikas und der Hochrüstung der Grenzen verklärt als humane Schutzmassnahme für Flüchtlinge. Wie schlägt sich die koloniale Geschichte nieder in dem medialen Diskurs, der die europäische Grenzpolitik begleitet?