Sport frei?!

veröffentlicht am FeminismusKörper & Normierung

FeminismusKörper & Normierung Sport frei?!

Über die Reproduktion von Geschlecht im Sport

Stellt Euch einmal einen sportlich aktiven Menschen vor –… und? Ist es ein Mann oder eine Frau? Es ist wahrscheinlich ein Mann. Körperliche Aktivität wird in unseren Köpfen meist immer noch mit Männlichkeit assoziiert. Gemeinhin gilt: Männerkörper sind stärker, ausdauernder und leistungsfähiger. Männer spielen Fußball, heben Gewichte und machen Kampfsport. Das machen Frauen zwar alles auch, sowohl im Wettkampf als auch in ihrer Freizeit, aber irgendwie wird das nicht so recht wahrgenommen. Wenn Frauen Sport machen, so scheint es, dann in Form von Bodyshape-Training, Bauch-weg-Quickies, und Gymnastikkursen. Das vermitteln sowohl die vielen Fitnessstudios, die Frauen gern mit solchen Angeboten werben, als auch die vielen Ratgeber, die frau sich zur Formung ihrer Figur besorgen kann. Dass sich Geschlechterverhältnisse – wie andere gesellschaftliche Verhältnisse auch – im Sport reproduzieren, ist erst einmal nicht verwunderlich. Wie hat sich Sport historisch geschlechtsspezifisch entwickelt, wie werden hier Geschlechterbilder stabilisiert und wie wirkt dies an der Reproduktion eines Zweigeschlechter-Systems mit?

Kopf oben, Beine unten und geschlossen“

Die Anfänge des Frauensports

Historisch kann man sehen, dass sich das Verhältnis von Frauen und Männern im Sport korrespondierend mit gesellschaftlichen Veränderungen entwickelt. So war das Turnen als eine der ersten klassischen Sportarten zu Beginn des 19. Jahrhunderts nur (bürgerlichen) Jungen vorbehalten. Im Turnen wurden die gleichen Disziplinierungsmechanismen wirksam wie im Militär, in der Fabrik oder in den Internaten: mit kollektiven Körperdressuren und einer exakten Einteilung von Raum und Zeit wirkte das Turnen an der Produktion des männlichen Individuums mit. Denn nach dem bekannten „Turnvater“ Jahn war nur ein unterworfener Körper ein produktiver – und somit ein männlicher. Frauen wurden zunächst aus der Turnerbewegung ausgeschlossen: Sie galten als sexuell triebhaft und insofern undiszipliniert und schwach. Ihre Anwesenheit, so viele zeitgenössische Pädagogen, barg die Gefahr, die Jungen zu „verweichlichen“. Im Zentrum der Diskussion um das Für und Wider des Mädchenturnens stand darüber hinaus immer wieder die vermeintliche Schwäche des weiblichen Körpers. So blieb das Mädchenturnen, das im 19. Jahrhundert nur langsam populär wurde, zunächst auf „Anmuts- und Haltungsübungen“ beschränkt, ganz nach dem Motto „Kopf oben, Beine unten und geschlossen“: Bewegungen, die mit Kraft, Ausdauer, Erschütterungen, Stößen oder aber auch „Unanständigkeiten“, wie das Heben und Spreizen der Beine, zu tun hatten, galten als für den weiblichen Körper „unnatürlich“ und dementsprechend schlecht für seine Gesundheit.

Im militaristischen wilhelminischen Kaiserreich und der zunehmenden Notwendigkeit von Heereskräften verstärkte sich die Sorge um „Volksgesundheit“ und „Volkskraft“. Männer sollten mittels sportlicher Betätigung vor allem wehrfähig gemacht werden um die Nation auf dem Schlachtfeld zu verteidigen, während Frauen an der Heimatfront mit einem gesunden – und das hieß in diesem Fall vorrangig gebärfähigen – Körper an der Heimatfront für Nachwuchs zu sorgen hatten.

Mit dem Aufschwung des Sports und der Verbreitung der Jugend- und Wanderbewegung nach der Jahrhundertwende lösten sich traditionelle Sittlichkeitsvorstellungen mehr und mehr auf, was zu einer Zunahme weiblicher Sportaktivitäten führte. Bürgerliche Frauen erkämpften sich in der Weimarer Republik den Zugang zum Wettkampfsport in einigen Sportarten, wie beispielsweise Leichtathletik, die vormals als Männerdomäne galten. Trotzdem blieben zahlreiche Sportarten wie Fußball, Radrennen oder Langstreckenlauf für Frauen untersagt, da sie angeblich die Gesundheit des „schwachen Geschlechts“ gefährdeten. Als Frauendomäne galt dagegen die rhythmische Gymnastik-, da sie weniger auf Leistungsvergleich als vielmehr auf Ästhetik, Ganzheitlichkeit und Bewegungsformung abzielte. Die Teilhabe von Frauen am Sport war jedoch nicht nur ein Schritt in Richtung Emanzipation, sondern führte auch zu neuen Disziplinierungsmechanismen: während im 19. Jahrhundert das Korsett für einen „schönen“ Körper bürgerlicher Frauen sorgte, war nun die strenge Arbeit am Körper nötig, um ihn sexuell attraktiv zu halten. Mit der Veränderung von Schönheitsidealen und gesellschaftlichen Geschlechterbildern öffneten sich immer mehr Sportarten auch für Frauen. Dies bedeutete einerseits natürlich einen Gewinn an Freiheit und ein Mehr an Möglichkeiten für Frauen – gleichzeitig ging dies immer auch mit einer Ausdifferenzierung von Normen und Erwartungen einher. Wie sich Frauen in welchen (sportlichen) Kontexten zu verhalten hatten und wie sie aussehen sollten, war weiterhin nicht ihnen überlassen, sondern an Regelwerke und neue Bilder geknüpft.

„Du ruinierst Dir noch Deine Figur!“

_ Die lebenslange Sorge um den Körper

Diese strenge Arbeit am Körper ist heute in modernen westlichen Gesellschaften so zentral wie niemals zu vor. Ein gesunder, schlanker und fitter Körper gilt als Ausweis für Lebensenergie, Selbstdisziplin und privaten wie beruflichen Erfolg. In einer Arbeitswelt, die zunehmend von monotonen Bewegungen geprägt ist, gilt sportliche Betätigung als Mittel zur Herstellung von Ausgleich und somit Gesundheit, Entspannung und Lebensfreude. Menschen, die Sport treiben, gelten heutzutage mehr und mehr als diejenigen, die ihr Leben „im Griff haben“.
Die Anforderungen sind dabei je nach Geschlecht verschieden: Männerkörper sollen vor allem kräftig und muskulös sein, um etwas im Leben zu „schaffen“, um aktiv zu sein und etwas zu leisten. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich in Sportarten, die Kraft, Ausdauer und Leistungsvermögen erfordern, immer noch überproportional viele Männer finden. Frauen sollen dagegen durch Sport – so die gesellschaftlichen Normalvorstellungen – einen sexuell attraktiven Körper produzieren. Mit dem Aufkommen neuer Mode, die immer mehr Körper zeigt, wird das Verstecken von Fettpölsterchen auch immer schwerer. Bikini- und Minirock-Boom zogen in den 60er Jahren einen Hype um Fitnesskurse und Diäten unter Frauen nach sich. Bis heute sind viele Frauen Kundinnen in Fitnessstudios, die mit speziellen Geräten und Kursen die Modellierung der „Problemzonen“ Bauch, Beine, Po anbieten. Darüber hinaus verbinden Frauen mit Bewegung und Sport häufig das Bedürfnis, körperliches Wohlbefinden (wieder-) herzustellen, sich selbst zu finden oder ihr Inneres zu erforschen. In Yoga- und anderen Bewegungskursen, die genau solche Effekte versprechen, finden sich dementsprechend zu einem sehr großen Teil Frauen.

Geschlecht ist konstruiert

Diese so häufig wahrgenommenen Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind mitnichten durch Biologie vorherbestimmt und damit unveränderbar. Vielmehr sind sie historisch und sozial gewachsen. Sie stellen sich durch alltägliches Handeln immer wieder neu her: Indem wir je nach Geschlecht bestimmte Dinge von unserem Gegenüber erwarten, versuchen wir auch selbst, den an uns gestellten Erwartungen zu genügen und uns dementsprechend geschlechtskonform zu verhalten. Von klein auf sind wir durch unsere Geschlechtszuschreibung geprägt und füllen sie auch aktiv aus. Beleuchtet man Sporterziehung unter geschlechtsspezifischen Aspekten, so stellt man fest, dass Frauen mit weniger Gelegenheiten aufwachsen, motorische Fähigkeiten und Kraft auszubilden. Sie werden von ihren Eltern und Erzieher/innen eher davon abgehalten, auf Bäume zu klettern, rumzutollen, Kraft einzusetzen – genauso wie ihnen eher Puppen als Autos geschenkt werden. Jungen wird vermittelt, dass es sich für sie so gehört, sich auszutoben, gegenseitiges Kräftemessen zu veranstalten. Im Sport geht es für sie mehr darum, alles zu geben und zu gewinnen, der Beste zu sein.
Dies alles ist sehr verkürzt und stereotyp dargestellt und dient dazu, gesellschaftliche Tendenzen zu beschreiben und greifbar zu machen. Die Unterwerfung unter geschlechtliche Rollenerwartungen ist jedoch nicht rein passiv und repressiv, wir sind ihr nicht ohnmächtig ausgeliefert. Wir gehen aktiv mit den Zuschreibungen um, jeden Tag aufs Neue. Dadurch, dass wir durch unser rollenkonformes Verhalten zu einem wahrnehmbaren Individuum mit Geschlecht werden, sind wir auch sozial erst handlungsfähig. Das heißt, Leute wissen, wie sie uns gegenübertreten wollen, sie nehmen uns als Mann oder Frau wahr. Unsere Körper werden dadurch also auch als männlich oder weiblich hergestellt und so einer aktiven Aneignung durch uns Selbst geöffnet.
Dieses aktive Moment führt dann auch zu Brüchen, widerständigen Praktiken und Veränderungen gesellschaftlicher Normvorstellungen. Denn – mal Hand auf‘s Herz – niemand von uns fühlt sich hundertprozentig und ausschließlich als Mann oder Frau, wir haben immer auch Facetten in uns, die gesellschaftlich als männlich oder weiblich konnotiert sind. Und die wirken sich auch auf unser Handeln und unsere Geschlechtsperformance aus. Die Grenzen sind immer fließend, nur ist dies in den verbreiteten Vorstellungen kaum denkbar, denn da gibt es nur Mann und Frau.

„Hiermit erkläre ich Euch zu Mann und Frau“

Die Norm der Zweigeschlechtlichkeit im Sport

Gerade im Bereich des Sports wird die Norm der Zweigeschlechtlichkeit, also die Annahme, es gäbe ausschließlich Frauen und Männer und sonst nichts, sehr deutlich: Unterschiedliche Anatomie, Physiologie und Leistungsfähigkeit lassen sich scheinbar klar und unmittelbar erfahren. Dies dient häufig als Beweis für die natürliche Ordnung der zwei Geschlechter. Dabei beißt sich jedoch die Katze in den Schwanz: Im Sport sind Zweigeschlechtlichkeit und Geschlechterstereotype auch klar institutionalisiert: nahezu alle Disziplinen weisen eine Geschlechtertrennung auf. Viele Sportvereine haben, besonders im Wettkampfbereich, getrennte Frauen- und Männermannschaften und -kurse. Auf Wettkampfebene gibt es modifizierte Regelwerke und unterschiedliche technische Rahmenbedingungen für Frauen und Männer: So ist international im Eishockey nur für Männer der Bodycheck erlaubt und Frauen müssen im Beachvolleyball enganliegende Trikots tragen, während Männer sich in gemütliche Shorts schmeißen dürfen. Bestimmte Disziplinen sind bei den Olympischen Spielen nur für Frauen zugelassen, so zum Beispiel Synchronschwimmen oder Schwebebalken, oder für diese verboten, wie z.B. Zehnkampf (sie dürfen stattdessen aber Siebenkampf absolvieren).
Diese institutionellen Vorschriften stellen eine klare Trennung von zwei und nur zwei Geschlechtern her. Durch genau solche Vorschriften wurde das System der Zweigeschlechtlichkeit aber bereits ad absurdum geführt: Immer wieder kommt es in Einzelfällen zur Überprüfung des Geschlechts in Frauenwettkämpfen. Da davon ausgegangen wird, dass Sportlerinnen in Männerwettkämpfen keine unfaire Konkurrenz darstellen würde, bleiben Geschlechtstests dort aus. Immer wieder kommt es dabei zu keinen eindeutigen Ergebnissen: So fielen bei den Olympischen Sommerspielen 1996 in Atlanta acht Frauen durch den ersten Test und wurden erst durch weitere Untersuchungen wieder zugelassen. Das Geschlecht eines Menschen lässt sich also rein medizinisch gar nicht so eindeutig bestimmen, wie im Alltagsverständnis von den zwei „natürlichen“ Geschlechtern gern angenommen wird.

Von Nichttreten, Treten und Übertreten

Grenzüberschreitungen im Sport

Nichtsdestotrotz gibt es – und zwar auch immer mehr – Frauen in „typischen“ Männersportarten und umgekehrt. Legt man die oben skizzierten gesellschaftlichen Normvorstellungen zu Grunde, wird erklärbar, warum auf gewisse Abweichungen so barsch reagiert wird. Wie bereits beschrieben, können Frauen wie Männer durch die aktive Aneignung von Bewegungs- und Sportkultur gesellschaftliche Definitionen von Weiblichkeit bzw. Männlichkeit überschreiten. Dies ist jedoch häufig mit sozialen Sanktionen verbunden.
Frauen in Männersportarten wird häufig ihre Weiblichkeit abgesprochen, sie gelten oftmals als „Mannsweiber“. Gekoppelt ist dies an permanente Kommentare über das Aussehen und die Körper der Sportlerinnen. Studien zeigen, dass in der Medienberichterstattung bei Sportlerinnen überdurchschnittlich viel Bezug auf Weiblichkeit genommen wird, während es bei Sportlern viel mehr um ihr sportliches Können und ihr Verhalten geht.
Gesellschaftlich ist es en vogue, den Körper einer Gewichtheberin „nicht mehr“ ästhetisch zu finden, wenn die weiblichen Brüste fehlen oder das Gesicht einer Boxerin, wenn es Narben hat. Viele Sportlerinnen versuchen daher, ihre Weiblichkeit in Szene zu setzen, um eben auch als Frau wahrgenommen zu werden und sich andererseits aber auch die Sympathie des Publikums und somit lukrative Sponsorenverträge zu sichern. So ließ Box-Weltmeisterin Regina Halmich vor einigen Jahren Nacktfotos für ein Männermagazin von sich machen: „Ich habe es auch genossen, mich mal von meiner weiblichen Seite zu zeigen“.
Da das richtige Geschlecht in unserer Gesellschaft auch immer noch an das richtige, nämlich heterosexuelle, Begehren gekoppelt ist, führt dies auch dazu, dass solchen Grenzgänger/innen – wie beispielsweise Balletttänzern oder Fußballspielerinnen – häufig Homosexualität unterstellt wird.

Schluss

Es zeigt sich, dass stereotype Geschlechterbilder auch und in bestimmten Aspekten sogar ganz besonders im Sport wirksam sind. Die Annahme von genau zwei Geschlechtern, von denen eins „schwach“ und das andere „stark“ sei, wird im Breiten- wie auch im Spitzensport beständig reproduziert. Steht man für die gleichen Rechte aller ein, so bedeutet dies auch den gleichen Zugang aller Menschen zu allen Sportarten, ohne Geschlechtertrennung, ohne unterschiedliche Vorstellungen, wie Körper zu sein haben und den ganzen anderen Hickhack!

Erschienen in:
Körperbilder und Bewegungsspiele (2011)