Schüler_innen bald in zentraler Datenbank verwaltet?
Schüler_innen bald in zentraler Datenbank verwaltet?
Die Berliner Regierungsfraktionen von SPD und Linkspartei haben sich im November 2008 auf einen Gesetzesentwurf geeinigt, wonach Schüler_innen durchnummeriert und 16 persönliche Informationen über sie in einer zentralen Datenbank gespeichert werden sollen. Die Abstimmung über diesen Entwurf wurde auf unbestimmte Zeit verschoben, es gibt wohl einige Abgeordnete, die nicht mehr zustimmen wollen.
In der Datei sollen Anschrift und Muttersprache der Schüler_innen, aber auch sonderpädagogische Förderungen, Teilnahme an ärztlichen Untersuchungen und der soziale Stand der Eltern gespeichert werden. Außerdem sollen diese Daten mit verschiedenen Behörden (der Polizei, den Jugendämtern einschließlich der Jugendgerichtshilfe, der Bewährungshilfe für Jugendliche und Heranwachsende sowie den Gesundheitsämtern) ausgetauscht werden. In Kontrast zu diesen Maßnahmen steht, dass die Linkspartei (auch die Berliner Fraktion) im Oktober 2008 den Aufruf zur Demonstration „Freiheit statt Angst – Stoppt den Überwachungswahn!“ unterstützt hat. Dieser forderte unter anderem: „Keine Finanzierung der Entwicklung neuer Überwachungstechniken“.
Zur Rechtfertigung der geplanten Maßnahmen heißt es, die Datei sei notwendig, um Lehrmittel entsprechend der tatsächlichen Schüler_innen-Zahl verteilen zu können. Derzeit müssen Schulen falsche Angaben machen, um überhaupt ausreichende Lehrmittel zugeteilt zu bekommen oder ihre Schließung zu verhindern. Außerdem haben Doppel- und
Mehrfachanmeldungen oft den Hintergrund, dass Eltern ihr Kind auf die bestmögliche Schule schicken wollen und
versuchen, ihre Chancen auf die Wunsch-Schule durch mehrfache Anmeldung zu erhöhen. Die Fehlzuteilungen werden mit ca. 200 Lehrstellen an 200 Schulen benannt. Eine Fehlplanung also von etwa einem_r Lehrer_in pro Schule.
Das soll Grund genug sein, solch eine Datei anzulegen?
Gründe gegen die Datei gibt es viele. Eine zentrale Datenspeicherung birgt immer die Gefahr des Missbrauchs. Auch die Einführung von Pseudonymen bietet im Zusammenhang mit der Schüler_innen-Datei davor keinen Schutz. Denn bei einer so kleinen Datenmenge wie einer Schulklasse ist es sehr einfach, Einzelpersonen zu identifizieren. Vorfälle, wie die in England, wo CDs mit kompletten Datensätzen verschwunden sind, oder bei der Deutschen Telekom, wo Datenschutzlücken festgestellt wurden, zeigen: Wo Informationen digital gespeichert sind, gibt es Organisationen, die sich für sie interessieren. Callcenter oder Werbe- und Marketingagenturen bezahlen für solche Daten viel Geld. Außerdem
könnten die Zugriffsrechte von zukünftigen Regierungen ausgeweitet werden. So ist zum Beispiel fraglich, ob sich Schüler_innen auch in Zukunft angstfrei Protesten und Streiks anschließen werden, wenn sie wissen dass ihre Daten gespeichert werden.
Für die Datei soll außerdem sprechen, dass so genannte Schulschwänzer_innen besser kontrolliert werden könnten.
Mal abgesehen davon, dass es gute Gründe gibt, eine Weile oder auch länger nicht zur Schule zu gehen – mit diesen
Plänen wird die Durchsetzung der Schulpflicht zu einer polizeilichen Aufgabe. Sehr drastische Folgen hatte eine ähnliche
Datei schon für eine Schülerin in Hamburg. Als Illegalisierte ohne Aufenthaltsstatus wurde sie des Landes verwiesen. Eltern ohne sicheren Aufenthaltsstatus könnten ihre Kinder gar nicht mehr in die Schule schicken, um sich dieser Gefahr zu entziehen. Schulleiter_innen, die Illegalisierte nicht offiziell melden, um ihnen den Schulbesuch zu ermöglichen, überlegen sich dies in Zukunft vielleicht noch einmal anders.
Die Schüler_innen-Datei ist keine Lösung für Probleme. Stattdessen sollte über kleinere Klassen, „eine Schule für alle“
und die Funktionen von Schule in dieser Gesellschaft nachgedacht und diskutiert werden.
erschienen in:
Submarine zum Thema "Doofe Schule" (2009)