Schamlos

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Antisemitismus Schamlos

Schamlos

Freundliche Handreichung zum Spektakel der Dresdner Bank

Deine Mutter wäre

Wie all die andern Mütter

Mit den Kindern gegangen

Hätte sie an der Hand gefaßt

Die Weinenden besänftigt

Ihnen das Haar glattgestrichen

Einen Pullover zurechtgezupft

In dem Gewühl

Hielten sie ihre Kinder hoch

Sie sollten noch einmal Luft schnappen

Das Gas brach aus der Decke

Traf sie zuerst.

Dünne Kinder waren da und dicke

Braunäugige Kinder blauäugige grünäugige großäugige Kinder

Man würde meinen

Die Kinder zu töten

War schwer

Es war leicht

Man warf sie in die Luft zu Schießübungen

Schlug ihre Köpfe an die nächst beste Mauer

Oder legte sie sich übers Knie

Brach das Rückgrat knacks wie Zweige

Die Glückspilze gingen mit ihren Müttern ins Gas.

Lily Brett – Auschwitz Poems

Als zweitgrößte deutsche Bank und eine

Säule der Allianz Group

bieten wir das einzigartige Profil

eines integrierten Finanzdienstleisters.

Dresdner Bank – Die Beraterbank

Ärgerlich

Das hatte sich die Dresdner Bank natürlich anders vorgestellt. Da musste

man schon die eigene Bank-Geschichte aufarbeiten. Und nach fast zehn

Jahren sind die Ergebnisse fertig und dann will man – wie passend – im

Jüdischen Museum die lang verdiente Anerkennung einfahren. Und dann das.

Der Zentralrat der Juden macht der Dresdner Bank einen Strich durch die

Rechnung. Undank ist eben der Welten Lohn. Dabei hätte es so schön

werden können im Jüdischen Museum. Dort hätte es vielleicht

Klezmermusik, kosheren Wein und gefilte Fish gegeben. Und die Dresdner

Bank hätte ganz ungezwungen aus dem geschichtlichen Nähkästchen geplaudert.

Wenn der Führer das noch hätte erleben dürfen

Die Dresdner Bank. Heute zweitgrößte deutsche Bank, früher Beraterbank

der SS. Heute Dienstleistung für Privatkundinnen und Privatkunden,

früher geflissentliche „Arisiererin“. Heute Entschädigungszahlungen für

Zwangsarbeit, früher Finanziererin der Gaskammern in Auschwitz. Und, wer

sagt's denn: „Die Dresdner Bank im Dritten Reich.“ 2.400 Seiten

Firmengeschichte zwischen 1933 und 1945. Soll niemand sagen, wir hätten

nichts gewusst.

Das makabre Schauspiel, das heute geboten wird, ist so neu nicht. Die

Gespenstigkeit des Vorgangs wiederholt sich, seit es nach der

Wiedervereinigung in Mode kam, die deutsche Vergangenheit nicht mehr zu

leugnen, sondern stattdessen obsessiv anzunehmen. In einer Zeit, als

Entschädigungen für Zwangsarbeit recht und

Geschichtsfindungskommissionen billig wurden. Commerzbank und Deutsche

Bank machten vor, wie man Aufarbeitungsweltmeisterin wird. Und auch die

Dresdner Bank hat es schließlich doch noch vermocht, aus der eigenen

barbarischen Hausgeschichte eine sehr deutsche

Verantwortungs-Erfolgsstory zu zimmern.

Die Kasse stimmt

Zu ihrem Glück musste die Dresdner Bank jedoch erst gezwungen werden.

Inszenierte sich die Bank 1992 noch in einer Festschrift als Opfer des

Nationalsozialismus, änderte sie fünf Jahre später den Kurs. Erst nach

langem Zögern gab die Dresdner Bank eine Studie zur Firmengeschichte im

Nationalsozialismus in Auftrag und musste sich an läppischen

Entschädigungszahlungen für frühere Zwangsarbeiter/innen beteiligen. Zu

groß war die öffentliche Entrüstung über das Firmengebaren geworden, zu

bedrohlich die Sammelklagen ehemaliger Zwangsarbeiter/innen in den USA.

Und jetzt, im Jahr 2006? Jetzt macht die Dresdner Bank Kasse.

Heute, wo die letzten Überlebenden des deutschen Mordprojekts unter dem

Druck ihrer Erinnerungen zusammenbrechen, in der Armut osteuropäischer

Dörfer oder in israelischen Altenheimen dem Tod entgegen gehen und die

letzten Infantristen der Roten Armee, die vor fast genau 61 Jahren die

Vernichtungsmaschine Auschwitz abstellten, in Moskauer Veteranenheimen

sterben. Und die Bilanz lässt sich sehen. Peanuts für die Opfer, dafür

jede Menge moralisches Kapital für die Dresdner Bank.

Deutschland – Land der Ideen

Mit groß einladender Geste spielt die Dresdner Bank jetzt Versöhnerin.

Von den läppischen Zahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter/innen einmal

abgesehen, heißt Versöhnung zu gut deutsch: Die Verwandlung von

deutschen Täter/innen in deutsche Opfer. Und das hat bei der Dresdner

Bank Tradition. Beispiele gibt es viele. Wie selbstverständlich hat die

Bank in den letzten Jahren etwa maßgeblich den Wiederaufbau der

Frauenkirche in Dresden mitfinanziert. Die Frauenkirche, Inbegriff

deutschen Leidens und Fanal deutscher Selbstbehauptung gegen die Schmach

des „Untergangs“. Noch infamer ist höchstens die Verleihung des von der

Dresdner Bank ausgeschriebenen Viktor-Klemperer-Preises. Der erste Preis

ging letztes Jahr an die Bundeswehr. Und damit an die Rechtsnachfolgerin

derjenigen Organisation, die den nationalsozialistischen

Vernichtungskrieg in Osteuropa gegen die „Untermenschen“ und alles

„Undeutsche“ geführt hat. Und ausgerechnet ein Jude steht Pate für die

Nachfolgeorganisation der mörderischen Vereinigung, die ihn fast

umgebracht hätte. Tatsächlich hängen Frauenkirche und Victor Klemperer

enger zusammen, als der Dresdner Bank bewusst sein dürfte. Er konnte am

Abend vor der geplanten Deportation aus Dresden fliehen, weil sie

bombardiert wurde. Doch was schert das schon die Dresdner Bank.

Geschichte wird gemacht, es geht voran.

Die Schonzeit ist vorbei

„Wer Auschwitz leugnet, der versündigt sich an Deutschland.“ – So

formulierte Horst Köhler am 8. Mai des letzten Jahres mit Rührung in der

Stimme abschließend das neue deutsche Selbstverständnis. Will sagen:

Auschwitz, heim ins Reich. Wir haben die Geschichte wieder im Griff. Und

darin sind wir Weltspitze. Vorbei die Ära der Bonner Republik, in der

die alten NSDAP-Chargen die Parvenüs der Adenauer-Ära waren. Längst

vergessen die Politiker der fünfziger Jahre, für die juristische

Verfolgung von SS-Mitgliedern ein „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“

darstellte. Ganz zu schweigen vom Frankfurter Theater-Eklat um „Der

Müll, die Stadt und der Tod“, dem Bitburg-Skandal oder der

Jenninger-Rede. Vorbei leider auch die gute alte Besatzungszeit, in der

noch alliierte Truppen im Land standen.

In der Berliner Republik ist Enthemmung angesagt: In der Außenpolitik

geht es auf zu neuen Ufern und im nationalen Selbstverständnis knallen

langsam alle Sicherungen durch. Stolz auf Deutschland sein, ist wieder

salonfähig, nicht-deutsche Unternehmer werden mit Heuschrecken

verglichen und Israel wird auch von der Mehrheit der Deutschen für die

größte Bedrohung des Weltfriedens gehalten. Zu all dem gibt's

Geschichtsaufarbeitung made in Germany. Spät, selbstgerecht, ohne

Täter/innen, ohne Opfer. Aber alles mit einem guten Gefühl, aus

Verantwortung für Deutschland und mit einem Mahnmal, zu dem wir gerne

hingehen. Nicht trotz, sondern wegen Auschwitz.

Exit Dresdner Bank

Jürgen Pontos Zeit als Vorstandssprecher der Dresdner Bank seit 1969

wurde 1977 durch ein Kommando der Roten Armee Fraktion vorzeitig

beendet. Die darauf gegründete Jürgen-Ponto-Stiftung hat sich zum Ziel

gesetzt, „Verantwortung für die Gesellschaft“ zu übernehmen. Eine

solche, wirklich ernst gemeinte „Verantwortung für die Gesellschaft“

bestünde aber wohl nur in der ersatzlosen Auflösung der Dresdner Bank

und im Überlassen des Kapitals an die noch lebenden Opfer des

Nationalsozialismus und deren Nachkommen. Denn „aufgearbeitet“ – so der

von den Nazis exilierte Philosoph Theodor W. Adorno – „wäre die

Vergangenheit erst dann, wenn die Ursachen des Vergangenen beseitigt wären.“