Es war einmal...

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Rassismus & Migration Es war einmal...

FFM: Ein Gerichtsprozess aus einer längst vergangenen Zeit.

Ein Schleuser verspricht jemandem, er werde ihn wunschgemäß illegal über die Grenze bringen, der zu leistende Vorschuss beträgt 10.000 DM. Das Geschäft misslingt. Später schafft der Flüchtling mit einer anderen Möglichkeit den Weg über die Grenze. Da meldet sich der Schleuser: Er verlangt seinen vereinbarten Vorschuss und zieht mit seinem Anspruch vor Gericht. Und er erhält Recht. Der Bundesgerichtshof (BGH) kam in seinem Urteil zu dem Schluss, „daß ein solcher Vertrag nicht allgemein gegen die guten Sitten verstößt“. Mehr noch, bei der Erörterung des kommerziellen Charakters dieser Fluchthilfe kam der BGH zu der Einschätzung, „es sei nicht in jedem Fall anstößig, eine Hilfeleistung, selbst für einen Menschen in einer Notlage, von einer Vergütung abhängig zu machen“. Das gelte auch, wenn – wie im geschilderten Fall – Hilfe bei der „Ausübung eines Grundrechts an ein Entgelt“ geknüpft sei. Das Schleusen von DDR-BürgerInnen über die deutsch-deutsche Grenze beruhe „durchaus auf billigenswerten, ja edlen Motiven“ und sei mithin nicht verwerflich. Auch über einen angemessenen Preis machten sich die Richter Gedanken: „Fluchthilfevergütungen von 15.000 Mark oder 13.000 Mark je ‘geschleuster’ Person“ schienen ihnen „im Hinblick auf hohe Unkosten des Fluchthelfers nicht als überhöht“. Es wendet sich Kunde an Anbieter, „weil (...) bei ihm die Kenntnisse, Erfahrungen und Verbindungen“ erwartet werden, die für eine Flucht, einen heimlichen Grenzübertritt benötigt werden. Auch „der Zwang, der Fluchthilfeorganisation ‚blindes Vertrauen’ zu schenken, und die faktische Unabänderlichkeit (...) der von ihr gestellten Bedingungen“, spielten schon zu jener Zeit eine Rolle und verdeutlichen jenes Abhängigkeitsverhältnis, das den heutigen „Schleppern und Schleusern“ per se als ausbeuterisch angelastet wird. Schließlich geht der BGH auch auf die Gefahren ein, die mit einem unerlaubten Grenzübertritt verbunden sind: „Zu der Frage, ob ein Fluchthilfevertrag sittenwidrig ist, weil ein Fluchthilfeunternehmen Gefahren für beteiligte und womöglich auch unbeteiligte Personen hervorrufen kann, hat der (...) Senat (...) ausgeführt, daß nicht jeder Vertrag sittenwidrig ist, der für die Beteiligten mit persönlichen Gefahren verbunden ist.“ Dieser Prozess fand im Jahr 1980 statt. Bei dem Gericht handelte es sich um die Revisionsinstanz des Bundesgerichtshofs, verhandelt wurden die Umstände einer Schleusung aus der DDR.

Erschienen in
Grenzgänger - Migration & Tourismus (2008)