Drogen legalisieren!
Drogen legalisieren!
Über die Scheinheiligkeit der Drogenpolitik
Jedes Jahr, wenn der Bundesdrogenbeauftragte die neueste Zahl der „Drogentoten“ veröffentlicht, wiederholt sich das gleiche Schauspiel. Sind sie gestiegen, begreifen Hardliner der Drogenpolitik dies als Auftrag, die Verfolgung und Bestrafung zu intensivieren und zu effektivieren. Sind sie gefallen, so kann das als Erfolg eben dieser repressiven Politik verkauft werden. Dann signalisiert eben eine höhere Zahl an NeueinsteigerInnen, ihr sinkendes Durchschnittsalter oder derlei mehr Handlungsbedarf.
In jedem Fall verschwindet die liberale Idee, dass es Dinge gibt, die den Staat schlicht nichts angehen. Zum Beispiel welche Marmelade jemand gerne isst, wie warm eineR sich im Winter kleidet oder welches Rauschmittel er oder sie gerne raucht, schnupft, trinkt oder injiziert. Es fehlt auch die Erkenntnis, dass die jährlich sterbenden HeroinkonsumentInnen nicht an der Droge zugrunde gehen, sondern an den Bedingungen, unter denen der Staat sie ihre Droge konsumieren lässt.
Drogenfreie Gesellschaften hat es noch nie gegeben, jedoch häufig Versuche der Herrschenden, den Gebrauch bestimmter Drogen zu unterbinden. Im 17. Jahrhundert verboten verschiedene Fürsten Tabak und Kaffee – bis hin zu Kopfgeldzahlung und Todesstrafe für die KonsumentInnen. Beide galten als Drogen des aufkommenden Bürgertums.
Die modernen Drogenverbote stammen aus den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts. Damals wurden auf internationalen Opiumkonferenzen die bis dahin üblichen Arznei- und Genussmittel Opium und seine Abkömmlinge, Morphium Heroin und Kokain aufgrund wirtschaftlicher- und geopolitischer Interessen verboten. Daraus entwickelte sich ein Feldzug, der versucht, per Gesetz den moralisch richtigen Lebensstil durchzusetzen.
Das alberne Verbot: Cannabis.
Die Geschichte des Haschischverbots zeigt am deutlichsten, dass Drogenpolitik Ausdruck ökonomischer und politischer Interessen ist. Das Haschischverbot wurde zunächst in den USA von Harry J. Anslinger, später dann weltweit in der so genannten Single Convention von 1961 auf alle Ewigkeit durchgesetzt. Begründet wurde dies stets so wie es gerade politisch opportun war.
Anfangs wurde Haschisch als die „Niggerdroge“ denunziert, die ihre vorgeblich rein schwarze KonsumentInnenschicht zu Aggressivität, Aufruhr und Vergewaltigung weißer Frauen aufstachele. In Deutschland war 1972 die damalige Gesundheitsministerin Strobel nicht minder rassistisch, charakterisierte sie doch Haschisch als Droge, die „unsere Jugend zu trägen Orientalen“ mache. Noch 1965 bezeichnete der UNO-Drogenbeauftragte Nahas Cannabis als gebräuchlichstes Mittel zum Freitod in Europa.
Keine der Legenden über die Gefährlichkeit von Haschisch haben sich je wissenschaftlich nachweisen lassen. Aber den BefürworterInnen des Drogenverbots reicht der einmal ausgesprochene Verdacht auf körperliche Schädlichkeit bis heute, um das Verbot einer Substanz zu legitimieren, die seit 1968 noch unter einem anderen, schwerwiegenderen Verdacht steht: Das Symbol einer rebellischen Subkultur zu sein, die die bürgerlichen Werte ablehnt.
Auch die FreigabebefürworterInnen stützen ihre Argumente mit Energie auf die Wissenschaft. Statt den Anspruch des Staates, über die Gesundheit seiner BürgerInnen zu verfügen, zu hinterfragen, werden sie nicht müde, die Ungefährlichkeit ihres Krautes und auch seine ökologische Wunderkraft zu präsentieren. Sie jubelten daher, als das Bundesverfassungsgericht Anfang 1994 „Jein“ zur Freigabe sagte.
Weil nur jedeR hundertsoundsovielte von ihnen erwischt wird, ohne dass diese Gesellschaft irgendwie aus dem Ruder gerät, hatte das Gericht entschieden die Durchsetzung eines Verbots, das nicht durchzusetzen ist, einstweilen zurückzustellen. Gegen wen es nun mit aller Kraft gehen sollte, hatten die KifferInnenverbände selbst mehr oder minder deutlich ausgesprochen: Gegen die wahrhaft gefährlichen, weil „harten“ Drogen. Cannabis mit denen in einen Topf zu schmeißen sei der eigentliche Fehler der Drogenpolitik gewesen. Die Hänflige wurden durch ihre Forderung nach „Trennung der Märkte“ Stichwortgeber modernisierter Drogenpolitik, die die Grenzen zwischen „guten“ und „bösen“ Drogen neu zieht.
Das tödliche Verbot: Heroin.
Um zu verstehen, wieso das Cannabisverbot für die Betroffenen nur nervig, das Heroinverbot jedoch mörderisch wirkt, lohnt sich wieder ein Blick in die Geschichte. Diacetylmorphin, besser bekannt unter seinem Markennamen Heroin, wurde von Bayer 1901 lizenziert und als Hustenmittel angepriesen. Angewendet wurde es allerdings – ebenso wie Morphium – hauptsächlich als Schmerzmittel im Krieg. Insbesondere ehemalige Soldaten, die neben der schmerzstillenden auch die euphorisierende Wirkung der Opiate kennen und schätzen gelernt hatten, konsumierten Heroin und Morphium auch zu Genusszwecken.
Sie wurden so die Vorreiter eines verbreiteten Vergnügens des Bürgertums. Als integrierte und unauffällige Mitglieder der guten Gesellschaft gerieten sie alle nie in die Gefahr, als „Drogenproblem“ Objekt der Diskussion zu werden. Selbst unter den Nazis erhielten „abhängig“ gewordene KonsumentInnen ihre Opiate vom Arzt – natürlich galt dies nur für unverdächtige, deutsche KonsumentInnen.
Erst das 1972 verabschiedete Betäubungsmittelgesetz (BtmG) unterband diese Praxis der Opiatverschreibung. Inzwischen war nämlich, im Rahmen der experimentierfreudigen 68erInnen, ein neues GebraucherInnenmilieu entstanden, das anders als zuvor zu Mitteln wie Rezeptfälschungen oder Apothekeneinbrüchen griff, um an die begehrten Substanzen heranzukommen. Im BtmG wurde das Vorgehen gegen DrogenkonsumentInnen drastisch verschärft. Neben der Erhöhung der Höchststrafe für Drogendelikte von drei auf zehn Jahre Freiheitsentzug wurden der Polizei weitreichende Rechte zur Verfolgung, wie Hausdurchsuchungen, zugestanden. Mit diesen Einschnitten wurden DrogenkonsumentInnen zu „Junkies“, jenen verelendeten Heroinnutzern wie wir sie aus „Bild“, „Stern“ und „der Bahnhofsgegend“ kennen.
Das sauberere Verbot: Methadon.
Gegen diese Zustände gibt es seit Mitte der 80er Jahre eine Protestbewegung aus Betroffenen, SozialarbeiterInnen und kritischen WissenschaftlerInnen. Ihrer Arbeit ist es zu verdanken, dass in der öffentlichen Diskussion vermehrt über Alternativen zur Prohibition nachgedacht wird. Was davon bisher – hauptsächlich unter sozialdemokratischer Regie – politische Praxis geworden ist, trägt den Namen Methadon und ist weniger Alternative als Weiterentwicklung des Bestehenden.
Die staatliche Vergabe von Polamidon oder Methadon an ausgewählte besonders Verelendete mag manche vor dem Tod bewahrt haben. Wer sich aber fragt, warum nicht gleich die vom Methadon kaum unterscheidbare Droge Heroin verabreicht wird, verkennt das ideologische Ziel der Politik. Ihr geht es um Kontrolle. Die „Junkies“ stehen nun nicht mehr unter der willkürlichen Aufsicht der Polizei, sondern unter der dauerhaften des Gesundheitsapparates. Die UserInnen sind von dem Wohlwollen der Mediziner tagtäglich abhängig. Sie werden von diesen ständig überprüft und durch Runterdosierung oder Rausschmiss bestraft.
Zur Unterscheidung wird angeführt, dass beim Methadon der „Kick“ fehle, auch wenn es in Wahrheit mehr mit der Einnahmeform – trinken anstatt injizieren – zu tun hat. Dies verweist darauf, dass den HeroingebraucherInnen weiterhin das Recht auf Selbstbestimmung abgesprochen wird. Ihr gewähltes Genussmittel soll durch ein Medikament ersetzt werden. Sie selbst werden weiterhin als anormal behandelt. Nun nicht mehr als kriminell, sondern als krank.
Daran ändert auch eine ärztliche Vergabe von Heroin nichts. Welche ZigarettenraucherInnen hätten schon Lust, ihre Lieblingsdroge nur unter medizinischer Aufsicht zu genießen? Kein Wunder, dass die Heroinvergabemusterstädte Frankfurt am Main und Bremen sich zugleich durch brutale polizeiliche Übergriffe auf offene Junkieszenen auszeichnen. Denn manchmal kommt die Einsicht, krank zu sein, erst durch den Polizeiknüppel zustande.
Solange die ärztliche Vergabe von Heroin oder Methadon für viele „Junkies“ die einzige Überlebenschance ist, sollten sie bei aller Kritik gegen Angriffe von Konservativen oder Krankenkassen, denen sie schlicht zu teuer werden, verteidigt werden. Ähnlich verhält es sich mit Fixerstuben und Spritzentauschprogrammen. Mit diesen wird den KonsumentInnen ein hygienischer Heroinkonsum ermöglicht. Zeitgleich können sie aber auch besser kontrolliert und von SozialarbeiterInnen „bearbeitet“ werden. Weiterer angenehmer stadtpolitischer (Neben-)Effekt: DrogenkonsumentInnen verschwinden aus dem öffentlichen Raum. All diese drogenpolitischen Erneuerungen haben nichts mit dem Ziel eines menschenwürdigen Lebens für HeroingebraucherInnen zu tun.
Der angstfreie Rausch: die Freigabe.
Naturfreundejugend Berlin fordert die Freigabe aller derzeit kriminalisierten Rauschmittel und ihre Abgabe in lizenzierten Drogenläden. In diesen sollten nicht die KonsumentInnen, wohl aber die Qualität und Preise der Waren einer Kontrolle unterliegen. Dass es dann zu einem Drogenboom käme, bezweifeln wir. Erfahrungen mit der Legalisierung von Alkohol in den USA und von Haschisch in den Niederlanden belegen eher das Gegenteil. Unser Anliegen ist nicht, dass möglichst wenige oder möglichst viele Drogen nehmen. Unser Anliegen ist, dass diejenigen, die sich berauschen wollen, dies unter Bedingungen möglich ist, die frei sind von Verfolgung, Vereinzelung und erzwungener Selbstschädigung.
Für alle Drogen wie Heroin, LSD oder Kokain, Crack oder sogenannten „synthetische Drogen“ gilt: Nirgendwo hat eine Prohibition die Verbreitung dieser Substanzen verhindert. Lediglich die Bedingungen für ihren möglichst gesundheitszuträglichen wie lustvollen Gebrauch wurden eingeschränkt. Der Staat als Wächter über die guten Sitten scheitert schon an seinem eigenen „gesundheitsfördernden“ Anspruch, wird er denn wörtlich genommen.
Drogenfreigabe kann bedeuten, dass es in Zukunft Pauschalreisen in die schönsten Cannabisanbaugebiete geben wird. Oder dass an der nächsten Straßenecke eine „Schnee-Hütte“ mit einem Angebot von Coca-Tee bis zu reinstem Kokain eröffnet wird. Eine alte chinesische Opiumhöhle könnte detailgetreu nachgebaut und mit einem entsprechenden Angebot in Betrieb genommen werden. Und im Saunaparadies gäbe es zur Entspannung auch Cannabispfeifen. Qualitätssicherheit und angenehme Konsumbedingungen – nichts anderes als auch bei heißer Schokolade oder kühlem Bier erwartet wird.
Wichtiger aber als die kapitalistische Ausschlachtung einer Legalisierung ist das Recht aller, selbst zu bestimmen, wann, wo, weshalb und wie sie welche Substanz zu sich nehmen. Wer also lieber keinen konsumorientierten mittelständischen „Musterjunkie“ abgeben will, wird sich dann andere randständige Existenzformen suchen müssen, die nicht mehr durch die Wahl der berauschenden Substanz determiniert sind.