Die Gesellschaft – das sind wir!

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Feminismus Die Gesellschaft – das sind wir!

Das Schlagwort „Jeder (!) ist seines Glückes Schmied“ ist allgegenwärtig und tief in unserem Bewusstsein eingebrannt. Die Versuchung, die Schuld für Probleme bei uns selbst zu suchen und unsere Gesellschaft als die beste aller möglichen anzuerkennen, ist riesig. Wenn aber nicht einmal mehr Yoga hilft, Burn-Out und Depressionen als Gesellschaftskrankheiten in Schach zu halten, ist es Zeit anzuerkennen, dass der Weg der Selbstoptimierung eine Sackgasse ist. Eigentlich ist es doch eher verwunderlich, dass es Menschen gibt, die nicht depressiv sind, angesichts einer Gesellschaft, in der die wirklich wichtigen Dinge – emotionale Nähe, was zu Essen, Freizeit – nur notwendige Übel bei der Aufrechterhaltung der Arbeitskraft sind, die sich nicht gut dem Profit unterordnen lassen und daher abgewertet werden.

Die wesentliche Frage an dieser Stelle ist doch: Muss das so sein? Müssen wir uns wirklich an die Bedürfnisse eines Gesellschaftssystems anpassen anstatt zu versuchen die Gesellschaft nach unseren Bedürfnissen zu gestalten? Im realen Leben ist es für uns doch offensichtlich wichtiger, dass wir gepflegt werden und essen können, als dass Google eine gute neue Werbekampagne bekommt. Irgendwann haben wir augenscheinlich verlernt die Absurdität dessen zu erkennen. Es ist aber kein Naturgesetz, dass die iPod-Produktion erst genug Profit abwerfen muss, damit wir uns dann vielleicht um uns kümmern können. Genauso gut (oder viel besser) könnten wir uns zuerst darum kümmern, dass es uns gut geht und wir zu essen haben und danach gucken, wie viel sonstigen Schnickschnack wir herstellen wollen. Dann müssten die wichtigen Bereiche (die Reproduktion), die der Kapitalismus nicht sinnvoll profitorientiert organisieren kann, nicht mehr an Gruppen delegiert werden, die so schlecht gestellt werden, dass sie diese Arbeiten umsonst oder extrem billig machen müssen. Frauen oder migrantische Arbeiter*innen zum Beispiel.

Früher gab es einmal gewerkschaftliche Kämpfe für ganz konkrete Bedürfnisse wie höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten, die noch nicht darauf bedacht waren den Standort Deutschland nicht zu gefährden und die Firma nicht zu ärgern. Solche Forderungen werden auch nicht dadurch weniger richtig oder wichtig, dass sie innerhalb eines kapitalistischen Systems niemals für alle erreicht werden können. Daraus folgt nur, dass wir perspektivisch Lösungen und Forderungen finden sollten, die über die bestehenden Verhältnisse hinaus weisen.

Den einen richtigen Weg können wir leider noch nicht liefern, aber es gibt bereits interessante Versuche sich zusammenzuschließen und damit den individuellen Druck abzumildern. Denn wenn unzählige Menschen das selbe individuelle Problem haben, liegt die Vermutung sehr nahe, dass es sich gar nicht um individuelle Probleme handelt und es eben nicht in der Verantwortung jeder einzelnen liegen kann, eine Lösung zu finden.

Kollektive Lösungen sind also angebracht und so schließen sich Menschen bereits in Kollektiven zusammen und/oder werfen all ihr Geld zusammen, weil sie überzeugt sind, dass unterschiedliche Bezahlung doch eher willkürlich und unfair ist, und weil das ganz konkrete Entlastungen mit sich bringt. Kollektive Organisierung fängt aber auch da schon an, wo die Pflegebedürftigkeit der eigenen Eltern nicht als individueller Schicksalsschlag aufgefasst wird, sondern als Notwendigkeit, um die sich – wenn schon nicht die ganze Gesellschaft dann doch zumindest – der Freundinnenkreis gemeinsam kümmert. Praktische Solidarität funktioniert auch da, wo es Menschen nicht möglich ist für ihre eigenen Belange einzutreten. Besonders anschaulich ist das im Pflege- und Erziehungsbereich. Dort sind schon die Möglichkeiten für bessere Arbeitsbedingungen einzutreten stark eingeschränkt, weil es wenig Profit gibt, der durch einen Streik bedroht werden könnte und ein solcher tendenziell zu Lasten der zu pflegenden Menschen gehen würde. Hier können sich aber beispielsweise die Eltern solidarisch zeigen und ihre bessere Position nutzen bessere Arbeitsbedingungen der Erzieherinnen zu erstreiten.

Solche Versuche schaffen natürlich nicht den Kapitalismus und die Geschlechterherrschaft ab, bieten aber die Möglichkeit, die schlimmsten Auswirkungen abzufedern und mal reinzuschnuppern in eine bessere Welt mit sinnvolleren Prioritäten. Allerdings müssen wir solche Versuche als Notlösungen verstehen, die zwar ganz konkrete Verbesserungen mit sich bringen, aber eben nur im Kleinen. Die Grundorientierung auf Profit bleibt, die Gesamtgesellschaft kann sich weiterhin aus der Verantwortung ziehen. Im kleinen nicht lösbar ist beispielsweise das Problem, dass kollektive Organisierung Verbindlichkeiten mit sich bringt, die nicht jede und jeder auf der persönlichen Ebene eingehen will oder kann. Pflege sollte schließlich auch für Mitglieder der Gesellschaft sicher gestellt sein, die keinen großen Freund*innenkreis haben oder diesem gegenüber ein Mindestmaß an Autonomie nicht aufgeben wollen.

Dennoch, der Punkt ist, dass wir wieder lernen müssen, etwas zu wollen. Es gibt unzählige Möglichkeiten das Leben jetzt schon im kleinen einfacher zu machen. Wir alle haben ein Bedürfnis nach erschwinglichem Wohnraum. Warum schließen sich nicht viel mehr Menschen mit ihren Nachbar*innen zusammen, um diesen zu erhalten oder zu fordern? Wir alle haben ein Bedürfnis nach Zeit, die wir selbst gestalten können. Warum sich nicht einfach mal eine Migräne gönnen und blau machen? Warum nicht einfach mal stumpfsinnige Arbeiten ablehnen (wer braucht gebügelte Unterwäsche)? Und wenn du keine Lust hast 5 Jahre zu studieren bzw. eine Ausbildung zu machen, um etwas machen zu dürfen, was du jetzt schon kannst: Warum nicht einfach den Abschluss fälschen? Oder wenigstens Hausarbeiten kopieren? Genauso lässt sich vergeschlechtlichte Arbeit boykottieren. Auch als Frau darf man mal nicht nett sein, wenn per Definition und qua Erziehung immer an ihr hängen bleibt, zu trösten und für gute Stimmung zu sorgen.

All diese Ansätze verändern die Gesellschaft noch nicht grundsätzlich. Aber, vielleicht verändern sie uns. Vielleicht machen sie uns Lust auf mehr vom guten Leben und ermöglichen es uns unter neuen Voraussetzungen weiter zu diskutieren. Vor allem: vielleicht schaufeln sie uns etwas Zeit frei, um zu überlegen, wie wir das große Ganze verändern.

Ansatzpunkte gibt es viele, wir müssen nur wollen!