Die flüchtige Kontrolle

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Rassismus & Migration Die flüchtige Kontrolle

Die Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM) interviewte im März 1996 einen Flüchtling aus dem Iran. Er war aus dem Iran über die Türkei nach Kiev geflüchtet und berichtete zu der Rolle der Schleuser:

„In Kiev habe ich insgesamt fast eineinhalb Jahre gelebt, bis ich das Geld zusammen und die Kontakte hergestellt hatte, um weiter zu ‚reisen’. Das Leben in Kiev ist für uns Flüchtlinge sehr teuer, denn ständig wird man von der Polizei kontrolliert und inhaftiert. Und sie lassen einen erst raus, wenn man 5 bis 20 Dollar bezahlt, als Buß- oder Bestechungsgeld, das ist gar nicht zu unterscheiden. Die Polizisten wissen, dass wir Flüchtlinge sparen müssen oder gespart haben, um weiterzukommen. Deshalb benutzen sie uns regelrecht als Einkommensquelle, unter dem Vorwand eines fehlenden Visums oder unerlaubter Einmietung in Privatwohnungen erpressen sie uns. Ich konnte dort nur überleben, weil ich von meinen Freunden aus Deutschland Geld überwiesen bekam – es dauerte lange, bis ich einen vertrauenswürdigen Schlepper gefunden hatte. Die Passage nach Deutschland kostete fast 4.000 Dollar.
Der Schlepper, an den ich mich dann nach vielen Überprüfungen wandte, benutzte Bestechungsgelder, fälschte Pässe und ging auf Fußwegen über die grüne Grenze. Freunde hatten ihn mir als zuverlässig empfohlen. Ich bekam einen anscheinend ziemlich gut gemachten holländischen Pass. Dann fuhr ich zusammen mit anderen im Zug nach Uzhorod nahe der slowakischen Grenze. Dort wurde ich zusammen mit ca. 10 anderen Flüchtlingen in einem Haus untergebracht. Es war eine sehr nette Frau, die dort lebte und uns einige Tage versorgte. Denn wir mussten warten, bis sicher war, dass der bestochene Grenzoffizier auch wirklich Dienst hatte. Dann, an einem Nachmittag, gingen wir in kleinen Gruppen bzw. einzeln zum Bahnhof. Die Ausreise klappte, wir saßen im Zug. Allerdings wird auch die Einreise in die Slowakei scharf kontrolliert. Mein Pass wurde genau untersucht, und die slowakischen Grenzpolizisten mißtrauten mir. Einer konnte etwas deutsch und sprach mich an. Mein Glück war, dass ich viele Jahre zuvor mal in Deutschland war und deshalb ein paar Brocken sprechen konnte. Außerdem hatte ich mir westeuropäische Kleidung besorgt. Damit konnte ich dann ihre Zweifel zerstreuen und sie ließen mich passieren. Bis Prag kam ich ohne große Probleme, im Zug war nur eine flüchtige Kontrolle, als wir die Grenze nach Tschechien überquerten.
In Prag war ich dann wieder einige Tage bei einer Anlaufadresse, zusammen mit anderen Flüchtlingen, allerdings nicht denselben wie am Anfang. In einem Kleinbus wurden wir dann zu zehnt in einen Ort nahe der deutschen Grenze gefahren. In einem Park oder Waldstück mussten wir warten. Dann kamen zwei Personen, die uns zu Fuß zwei Stunden über Wiesen und Wälder führten. Sie haben das gut gemacht, kannten sich aus und haben uns immer gewarnt, wenn eine Straße zu überqueren war, ein Haus in der Nähe war oder Autos vorbeigefahren sind. Auf der deutschen Seite mussten wir dann noch über zwei Stunden im Wald warten, in der Nähe einer Straße. Dort sind immer wieder Busse der deutschen Grenzpolizei ziemlich nahe an uns vorbeigefahren, doch im Wald konnten sie uns nicht sehen. Endlich kam unser Transportwagen, ein anderer Kleinbus. Wir hatten Glück, wir begegneten keinen Polizeistreifen und konnten fast eine Stunde ungestört fahren.”

Erschienen in
Grenzgänger - Migration & Tourismus (2008)