Die alltägliche Folter in Deutschland - Intersexualitätsbehandlung
Die alltägliche Folter in Deutschland - Intersexualitätsbehandlung
Ist von Genitalverstümmelung in Deutschland die Rede, sind damit zumeist entweder die Beschneidung von Mädchen in bestimmten Regionen Afrikas gemeint oder aber die Beschneidung von Mädchen in afrikanischen und/oder muslimischen Familien innerhalb Deutschlands. Dies trifft sowohl auf klassisch-feministisch Organisationen wie ‚Terre des Femmes' als auch auf die Bundesregierung zu, aber auch auf große Teile der ‚radikalen' Linken wie beispielsweise im Umfeld der Jungle World. Der Quasi-Konsens in Deutschland, Genitalverstümmelung in einem imaginären ‚Außen' zu verorten und zu ächten, andererseits jedoch die Genitalverstümmelung, Folter und sexuelle Gewalt gegenüber als intersexuell diagnostizierten Kindern in Deutschland noch nicht einmal zur Kenntnis zu nehmen, muss als rassistisch bezeichnet werden.
Selbst in der feministisch-queeren Debatte und Theoriebildung wird Intersexualität meist nur unzureichend dargestellt. Das Interesse an Sinnkonstruktionen, Diskursen und symbolischen Ordnungen macht den direkten physischen Eingriff in die Körper von als intersexuell diagnostizierten Neugeborenen zwecks ‚Konstruktion' eines eindeutigen Geschlechts und die damit einhergehenden Leiden und Traumatisierungen schwer(er) benennbar.
Die feministisch-queere Kritik, die Intersexualität thematisiert, weist trotz gemeinsam geteilter Kritik am Zweigeschlechtersystem divergierende Argumentationslinien auf. So steht beispielsweise – schematisch vereinfacht – ein dekonstruktivistischer (erkenntniskritischer, metatheoretischer) Ansatz (‚Wie entsteht die Idee von Geschlechtern, welche Bedeutung wird dem beigemessen?') einem (positivistisch) naturwissenschaftlich-kritischem Ansatz (‚Es gibt mehr als zwei Geschlechter') gegenüber.
Eine Thematisierung von Intersexualität in westlichen Gesellschaften findet sich nur in bestimmten Spezialdiskursen wie beispielsweise Teilbereichen der Medizin. Vom biologischen Fortpflanzungsgedanken aus gedacht, gibt es nach vorherrschender biomedizinischer Lesart beim Menschen genau zwei Geschlechter, die sich der heterosexuellen Norm entsprechend fortpflanzen. Medizinische (und in aller Regel gesellschaftlich geteilte) Regeln zum Dogma der Zweigeschlechtlichkeit lauten:
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Es gibt ausschließlich zwei Geschlechter
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jedes ist angeboren und unveränderlich
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Genitalien bezeichnen sie zweifelsfrei
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Ausnahmen sind pathologisch
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jeder Mensch muss einem der zwei Geschlechter angehören
- die Dichotomie von männlich und weiblich ist natürlich
‚Intersexualität' tritt im Rahmen dieses Diskurses als Effekt medizinischer Wissensorganisation und zu beseitigende ‚Störung' auf. Der_die Ärzt_in schwingt sich zum_r Überwacher_in der herrschenden Geschlechterordnung auf, die medizinische Profession wird zur Vollstreckerin von Zwangsheterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit. Zentrale Motive in der ‚Behandlung' von Intersexualität – stoisch fixiert auf Penetrationsfähigkeit – sind hierbei Homosexualitätsabwehr und Identitätsverlustangst einer heteronormativen Gesellschaft.
Die überwiegend vorgenommene Feminisierung von als intersexuell diagnostizierten Körpern („It's easier to make a hole than to build a pole“) unmittelbar nach der Geburt folgt hierbei zusätzlich einer spezifisch sexistischen Logik: Weiblichkeit ist traditionell bevorzugtes Terrain von Prägbarkeit und demonstriert den männlichen Zugriff auf weibliche/weiblich gemachte Körper.
Die chirurgischen und hormonellen Eingriffe seit den 1950er Jahren bei als intersexuell klassifizierten Neugeborenen ging mit der Entwicklung der Kategorie ‚Gender' als psychologische Hilfskonstruktion für die ‚Behandlung', sprich medizinische ‚Korrektur' von Intersexualität, einher. Diente diese zunächst der Reproduktion von Geschlechter- und Sexualnormen im Rahmen der Ethnomethodologie (sozialwissenschaftliche Forschungsmethode), benutzten Feministinnen alsbald das Gender-Konzept zur Auflösung eben dieser Normen qua Entkopplung von Körper, Verhalten und sozialer Position.
Das Verständnis von ‚Gender' hat seitdem verschiedene Kritiken und Umdeutungen erfahren, die Gabriele Dietze als „anti-universalistische Lernerfahrungen“ bezeichnet. Wurde zunächst (1.) der strukturelle Androzentrismus (Männerzentriertheit) – die Frau kommt in der Universalität ‚Mensch' nicht vor – kritisiert (und die zweite Frauenbewegung begründet), entschlüsselten Women of Color die Universalkategorie ‚Frau' als spezifisch weiß und mittelschichtbezogen. Etwas später (3.) wurde durch den poststrukturalistischen Feminismus die Sex-Gender-Trennung an sich problematisiert und aufgezeigt, dass die Annahme eines ‚natürlichen' biologischen Sexes Körper, Reproduktion und Sexualität miteinander verkoppelt und dadurch einen bestimmten Typ Weiblichkeit universalisiert, nämlich den der heterosexuellen Mutter.
Nach der Kritik der 1. männlichen, 2. weißen und 3. heterosexuellen Herrschaft ist Dietze zufolge als vierte anti-universalistische Herausforderung des Genderbegriffs eine Problematisierung von Zweigeschlechtlichkeit nötig, um die Norm der Geschlechterpolarität und das Dogma körperlich definierter Zweigeschlechtlichkeit selbst zum Gegenstand feministisch-queerer Kritik zu machen.