Deutsch schwänzen!
Deutsch schwänzen!
Deutschland? War da was?
Als sich die Deutschen das letzte Mal so richtig für ihren Standort aktiviert haben, endete die Sache in Stalingrad bzw. am 8. Mai 1945 endgültig in Berlin. Der Nationalsozialismus war nicht bloß eine unter anderen Ausformungen des deutschen Nationalismus oder ein Irrweg. Der Nationalsozialismus war vielmehr der deutsche Nationalismus in seiner reinsten Form. Die Mehrheit der Deutschen fühlte sich eins mit Führer und Staat. Man fühlte sich arisch, ehrlich und unschuldig. Alle „Anderen“ wurden ausgegrenzt und ermordet: Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Sozialdemokraten, Kommunistinnen, Homosexuelle, Kranke und Behinderte. Zunächst in Deutschland, dann in ganz Europa. Jüdisches Eigentum wurde „arisiert“, Zwangsarbeit hielt die deutsche Wirtschaft auch im Krieg am Laufen. Was die Deutschen während der zwölfjährigen Zeit des Nationalsozialismus zusammenhielt, das war dieses gemeinsame Raub- und Mordprojekt. Und während die Alliierten 1945 die Überlebenden der Konzentrationslager befreiten, empfand die überwiegende Mehrzahl der Deutschen das Kriegsende als Niederlage. Nachdem sich der deutsche Himmel in der unmittelbaren Nachkriegszeit durch Gebietsabtretungen und Vertreibung etwas trübte, ging es den Deutschen in den 50er Jahren schon wieder großartig. Auf die vermeintliche Anstrengung des „Wiederaufbaus“ und auf das gemeinsame Verschweigen der im Nationalsozialismus begangenen Vernichtungstaten gründete sich nach Kriegsende das deutsche Nationalgefühl, im Westen wie im Osten.
Wer heute das Wort „Deutschland“ in den Mund nimmt, der denkt genau das mit, ob er und sie nun will oder nicht. Als Günter Grass noch nicht der nationalistische Sozialdemokrat war, der er heute ist, brachte er diesen Zusammenhang einmal sehr genau auf den Punkt: „Deutschland denken, heißt Auschwitz denken.“
Etwas Besseres als die Nation.
Der letzte Schrei in Sachen deutscher Nationalismus kommt sicherlich aus dem rot-grünen Lager. Gerhard Schröder und seine Knallchargen stellten nach dem Regierungswechsel 1998 nicht nur plötzlich fest, dass Hitler leider „ein Fehler“ war, sondern dass sich durch Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit zur Freude aller Deutschen auch endlich wieder neues Nationalgefühl gewinnen ließ. Und mehr als nur das. Ratzfatz zettelten die Deutschen ihren ersten Krieg nach 1945 an. Einmal mehr gegen Jugoslawien. Im Gegensatz zu früher jedoch mit der Begründung, dadurch „ein zweites Auschwitz“ zu verhindern. Lustig ging es weiter: Man „entschädigte“ ein paar Zwangsarbeiter, baute sich ein schönes Holocaustmahnmal, drehte einen Haufen Kino-Schlager wie „Der Untergang“ und erkaufte sich auf diese Weise Schritt für Schritt das gute Gewissen und das neue Selbstbewusstsein einer vergangenheitsbewältigten Nation, Nationalstolz inklusive. All in all: Eklig, eklig, eklig.
Wer Deutschland liebt, hat nicht mehr alle Latten am Zaun, so viel ist klar. Das gilt für den Nazischläger ebenso wie für den Wohlstandsrassisten oder die Mitschüler mit Deutschlandfähnchen am Parka auf dem Weg zur nächsten deutschen Radioquote. Denn eines haben sie gemeinsam: Am Ende kommt immer Deutschland dabei heraus. Es gibt also gute Gründe, den Fans der deutschen Nation den Frieden aufzukündigen – kommen sie nun aus geleckten Vororten, aus Nazikäffern im Osten oder aus hippen Szenekiezen. Antifaschismus fängt vor der eigenen Haustür an: Alles spricht dafür, den Radiosender zu wechseln, wenn er die Musikquote einführt, gegen nationale Symbole wie Hymne und Fähnchen lautstark zu pöbeln, es beim nächsten Familienfest mal so richtig knallen zu lassen, wenn die Gespräche auf den deutschen Standort kommen und, und, und...