Der Mythos von Schule ohne Rassismus
Der Mythos von Schule ohne Rassismus
Wenn Schule und Lehrer_innen auch nur Teile dieser Gesellschaft sind, wie können sie dann frei von Rassismus sein?
Beinahe täglich werden in Deutschland Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Sprache, Weltanschauung oder Lebensweise schief angeguckt, benachteiligt, beleidigt, geschlagen oder sogar umgebracht. In die Schlagzeilen geraten dabei oft nur die krassen Fälle. Und dann sind die rassistischen Schläger_innen meist jugendlich verirrte Neonazis. Doch Menschen mit nicht-deutschen Aussehen machen täglich ihre Erfahrungen mit Rassismus durch ganz „normale“ Deutsche: Sei es durch Pöbeleien auf der Straße, sei es bei Behördengängen oder eben im Schulunterricht mit Lehrer_innen.
In Hamburg machten im Juni 2006 Schüler_innen einer Berufsschule in einem Brief an die Lokalzeitung auf die permanenten rassistischen Beleidigungen aufmerksam, die ein Lehrer immer wieder von sich gab. Die Schüler_innen mussten sich von dem Lehrer im Unterricht so Sätze anhören wie: „Mein Erbgut ist hundertmal besser als das eines jeden Ausländers.“
Schüler_innen einer Neuköllner Schule berichten von einer anderen Situation mit einer Lehrer_in: An einem sehr heißen Schultag forderten die Schüler_innen hitzefrei. Die Lehrerin entgegnete den Schü- ler_innen, dass sie sich mal nicht so aufregen sollen, denn schließlich sei es da, wo sie herkommen, ja viel, viel heißer. Der Protest der Schüler_innen, dass sie hier in Deutschland geboren seien und in dem Land, wo ihre Eltern oder Großeltern herkommen, höchstens mal in den Sommerferien Urlaub machen, wollte der Lehrer_in nicht einleuchten. Für sie waren die Schüler_innen eben keine „richtigen“ Deutschen.
Alles Einzelfälle? Sicherlich nicht. Rassistische Einstellungen von Lehrer_innen zeigen sich nur nicht immer so offensichtlich, sondern äußern sich oft viel unterschwelliger. In verschiedenen Internetforen berichten viele Schüler_innen über ihre Erfahrungen mit rassistischen Lehrer_innen vor allem, wenn es um Benachteiligungen bei Bewertungen geht. So schreibt Delal: „Für unsere Lehrer sind wir eh nur dreckige Türken, die nichts können und es zu nichts bringen werden. Damals nach der sechsten Klasse sind fast alle Türken und Araber geschlossen zur Haupt oder Real gegangen, während die Deutschen eine Gymnasialempfehlung bekommen haben.“
Verwunderlich ist das keineswegs, so wurde bereits in vielen wissenschaftlichen Studien nachgewiesen, wie sehr die subjektiven Einstellungen von Lehrer_innen die Leistungsbeurteilung von Schüler_innen beeinflussen. Trotzdem löst es meistens Empörung aus, wenn Lehrer_innen mit einem Rassismusvorwurf konfrontiert werden: Rassismus wird dann entweder heruntergespielt, auf die Minderwertigkeitskomplexe der Betroffenen geschoben oder als Einbildung nach dem Motto „such' mal lieber die Schuld bei dir selbst“ abgetan. Aber warum ist ein_e rassistische _r Lehrer_in eigentlich so abwegig in einer Gesellschaft, in dem Politker_innen regelmäßig mit rassistischen Stereotypen Wahlkampf machen, People of Color in den Medien als Sozialschmarotzer_innen dargestellt werden und türkisch-deutsche Jugendliche seit dem Rütli-Aufschrei ohnehin als unfähig und gewalttätig gelten? Rassistische Vorurteile und Bilder umgeben uns tagtäglich. Da ist es nicht verwunderlich, wenn Lehrer_innen diese unhinterfragt übernehmen (was die Tatsache natürlich nicht besser macht).
Problematisch ist aber der Umstand, dass Rassismuserfahrungen oftmals in erster Linie das Problem der Betroffenen bleiben. So werden diese häufig nicht öffentlich gemacht – aus Angst vor Racheakten der Lehrer_innen oder weil es nicht so einfach ist, einer_m Lehrer_in nachzuweisen, dass er_sie Schüler_innen aufgrund von Herkunft oder Hautfarbe benachteiligt. Viele Schüler_innen leiden darunter, dabei ist es doch vor allem die Gesellschaft, die rassistisch ist. Wenn Menschen nach bestimmten realen oder erfundenen Merkmalen sortiert und bewertet werden und diese Unterschiede zur Begründung für eine ungleiche Behandlung herhalten müssen, so ist das keine Gesellschaft, die allen ein freies und selbstbestimmtes Leben ermöglicht.
Deshalb: Verbündet euch! Tretet rassistischen Äußerungen und Vorurteilen entschieden entgegen!
erschienen in:
Submarine zum Thema "Doofe Schule" (2009)