Arbeit macht das Leben süß.
Arbeit macht das Leben süß.
Zur Geschichte des Arbeitszwangs
„Mehr denn je gibt es einen moralischen Aspekt der Arbeit: Sie dient heute der Selbstverwirklichung und ist unentbehrlich für das Selbstwertgefühl - so wird uns zumindest suggeriert. Je knapper existenzsichernde Arbeitsplätze, umso mehr wird ‘Arbeit' moralisch aufgeladen. Erwerbslose dürfen sich nicht in der Arbeitslosigkeit einrichten. Man befürchtet ein ‘moralisches' Risiko.“ – (Christa Sonnenfeld, Komitee für Grundrechte und Demokratie, August 1999)
Als Adam und Eva als Bestrafung für ihre Sünden aus dem Paradies vertrieben wurden und fortan ihren Lebensunterhalt mit ihrer eigenen Hände Arbeit sichern mußten, bestand kein Zweifel daran, daß Arbeit Mühsal bedeutet.
Heute hingegen ist Lohnarbeit der Lebensinhalt schlechthin. Wer ohne Arbeit ist, verliert gesellschaftliche Anerkennung. Und obwohl die aktuelle Entwicklung zeigt, daß immer weniger menschliche Arbeitskraft benötigt wird, um gesellschaftlich notwendige Arbeit zu verrichten, steigt in gleichem Maße, die Anzahl derjenigen die zu Zwangsdiensten verpflichtet werden.
Es drängt sich folglich der Gedanke auf, daß Lohnarbeit nicht nur dem Zweck der Existenzsicherung dient, sondern - und das vorrangig - als Mittel der Disziplinierung. Ein Blick in die Geschichte zeigt die Traditionslinien des heute wiederentdeckten Arbeitszwangs auf.
Frühe Formen des staatlichen Zwangs
Arbeitshäuser, Einrichtungen also, in denen vor allem arme Menschen gezwungen wurden, schwere körperliche Arbeit zu verrichten, haben eine lange Tradition. Anfang des 17. Jahrhunderts gab es ein solches Arbeitshaus zum Beispiel in Amsterdam. „Kuriert“ werden sollte dort vor allem die „Abneigung gegen Arbeit“ und zwar „in der Weise, daß der Arme bei Arbeitsverweigerung in ein Verlies gesperrt wurde, in das man nach und nach Wasser einließ; um sich vor dem Ertrinken zu retten, mußte der Gefangene ohne Unterlaß eine Pumpe betätigen. Das hielt man für eine wirksame Methode, die Faulheit zu überwinden und die Leute an Arbeit zu gewöhnen.“ (Zitat stammt aus dem roten FALZ-Buch)
Auch die Errichtung staatlicher Sozialsysteme ist ganz im Sinne staatlicher Disziplinierung zu sehen und war Teil einer Politik Bismarcks, die gemeinhin als „mit Zuckerbrot und Peitsche“ umschrieben wird. In einer Zeit, in der der Unmut der Arbeiterschaft stetig wuchs und die von den Arbeitern selbst eingerichteten Sozialkassen auch für den Streikfall genutzt wurden, erzielte die Einführung staatlicher Versicherungssysteme die erwünschte Befriedung der Arbeiter. Deren Situation verbesserte sich auch tatsächlich. Gleichzeitig wurden allerdings die solidarisch organisierten Streik- und Sozialkassen komplett zerschlagen und die Möglichkeiten staatlicher Maßregelung bei Fehlverhalten wuchsen enorm.
Der Freiwillige Arbeitsdienst (FAD)
Als eigentlicher Vorläufer der heutigen Zwangsmaßnahmen gegen BezieherInnen staatlicher Sozialleistungen gilt der Freiwillige Arbeitsdienst, den es erstmals in der Weimarer Republik gab.
Trotz der großen Arbeitslosigkeit nach Ende des 1. Weltkrieges war es verhältnismäßig leicht, Gelegenheitsarbeiten zu finden. Die Situation spitzte sich mit der Wirtschaftskrise 1923 zu. Vor allem Jugendliche waren als Erste von Entlassungen und Einstellungsstops betroffen. Durch das unzureichende Angebot an Lehrstellen, war die Arbeitslosigkeit nach Beendigung der Schulzeit vorprogrammiert. Zusätzlich wurde die ökonomische Situation der Betroffenen durch die Veränderung der Regelungen für den Erhalt der Erwerbslosenfürsorge verschärft. Erhielten 1918 noch alle Erwerbslosen, die als bedürftig und arbeitsfähig bzw. arbeitswillig eingestuft wurden, Erwerbslosenfürsorge, so bekamen ab 1923 nur noch diejenigen Unterstützung, die zuvor mindestens 3 Monate einer krankenversicherungspflichtigen Tätigkeit nachgegangen waren. Auch hier trafen die Bestimmungen vor allem Jugendliche besonders hart. Nach dem Schulabschluß durch fehlende Lehrstellen gänzlich vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen, fielen sie völlig aus dem System ohnehin unzureichender staatlicher Leistungen heraus.
Politische Bedeutung erhielt das Problem erst, als man die Jugendarbeitslosigkeit zunehmend als Gefahr der allmählichen Ausgliederung breiter Bevölkerungsschichten aus der Gesellschaft begriff. Vor allem befürchtet wurden Probleme bei der späteren Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt. In der Konsequenz dieser Überlegungen wurde 1923 die Einführung von Pflichtarbeit beschlossen. Die Verordnung zur Pflichtarbeit legte fest, daß sich jeder Arbeitslose, der nach Auslaufen der Arbeitslosenversicherung auf Krisenunterstützung angewiesen war, für gemeinnützige Arbeit zur Verfügung stellen mußte, ohne dafür entlohnt zu werden. Eine Sonderregelung für jugendliche Erwerbslose sah die Möglichkeit zum sofortigen Einzug zur Pflichtarbeit vor.
Auf diese Weise wurden nicht nur zahlreiche Produktivkräfte außerhalb geregelter Arbeitnehmerrechte, wie Organisations- und Streikrecht, beschäftigt. Die Verordnung zur Pflichtarbeit sah auch erstmalig den Entzug der Unterstützung bei Arbeitsverweigerung und Sabotage vor, was praktisch der Verurteilung zum Hungertod gleichkam.
Ähnlicher Zwang wurde auch auf die Kriegsheimkehrer ausgeübt. Um auch in ihrem Fall die Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu garantieren, wurden sog. Notstandsarbeiten geschaffen, deren Bezahlung unterhalb des Tariflohns lag. Protest gegen diese Ungleichbehandlung oder gar Verweigerung hatten auch in diesem Fall Unterstützungsentzug zur Folge.
Im Zusammenhang mit den Notstandsarbeiten tauchte auch der Begriff der „produktiven Erwerbslosenfürsorge“ auf. Im Gegensatz zur „unterstützenden Erwerbslosenfürsorge“, die zur Sicherung des Existenzminimums beitragen sollte, war die Sicherung des Überlebens von nun an an die Verrichtung von Notstandsarbeiten gebunden. Auch hier stand weniger der ökonomische denn ein pädagogisch-disziplinierender Faktor im Vordergrund, wie aus dem folgenden Zitat aus der Begründung zum Entwurf der Änderungsbestimmungen von 1925 deutlich hervorgeht:
„Vor allem aber ist die produktive Erwerbslosenfürsorge das beste Mittel, um die Verelendung des Erwerbslosen und den Verfall seiner Arbeitskraft und seines Arbeitswillens zu verhüten; sie wirkt heilend und vorbeugend. (...) Wenn Arbeitslosigkeit in dicht zusammendrängender Bevölkerung in größerem Umfange und mit längerer Dauer eintritt, sind Störungen der öffentlichen Ordnung zu befürchten, besonders dann, wenn unter gewissen bekannten Einwirkungen der Wille der Massen in eine bestimmte Richtung gelenkt wird. (...) Notstandsarbeiten bilden eine Sicherheitsmaßnahme, deren Bedeutung nicht unterschätzt werden darf.“
Als die weiter steigende Jugendarbeitslosigkeit eine politische Radikalisierung der Jugendlichen zur Folge hatte, die verstärkt eine Alternative zum bestehenden Gesellschaftssystem suchten, forderten vor allem konservative und faschistische Kräfte die Einführung eines Pflichtarbeitsdienstes. Dieses Vorhaben traf anfangs auf breite Ablehnung. Statt dessen einigte man sich 1931 auf den Kompromiß eines „Freiwilligen Arbeitsdienst“ (FAD). Die Freiwiligkeit der damit bezeichneten Maßnahmen war jedoch rein formaler Natur. Tatsächlich zwangen die schlechten Lebensbedingungen zur Annahme solcher Dienste. Welche Rolle dem FAD in Zukunft zukommen sollte, erklärte der Präsident des Landesarbeitsamtes Nordmark 1932 wie folgt:
„Grundlage für den Freiwilligen Arbeitsdienst muß ernste Arbeit sein, die den ganzen Menschen erfaßt, die ihm gesunden Appetit wiedergibt, seinen Körper wieder strafft, seinen Augen die Leuchtkraft wiedergibt und in ihm das Gefühl erweckt, am Schaffen des Volkes wieder teilhaben zu können.“
Die Teilnahme am FAD sollte zunächst nur Empfängern staatlicher Leistungen „ermöglicht“ werden. Damit war die Mehrheit der Jugendlichen, die nach dem Gesetz von 1923 keinerlei staatliche Unterstützung erhielten, vom FAD ausgeschlossen. 1932 folgte daraufhin die erste Neuregelung der Teilnahmebestimmungen. Von nun an konnte jeder Deutsche zwischen 18 und 25 Jahren am FAD teilnehmen. Die Dauer der Arbeitseinsätze wurde auf 40 Wochen im Jahr ausgedehnt. Die zumeist körperlich sehr anstrengenden Arbeiten wurden lediglich als „pädagogische Maßnahmen“ deklariert. Die Entlohnung lag bei durchschnittlich 1,53 RM pro Arbeitstag. Ob das Geld bar oder in Form von Sachleistungen ausgezahlt wurde, lag im Ermessen des Arbeitgebers. Von dem bar ausgezahlten Geld mußten Arbeitskleidung und Fahrgeld selbst bestritten werden. Wie schon bei der Pflichtarbeit galten Streik- und Organisationsrecht nicht für Teilnehmer am FAD.
Trotz dieser widrigen Bedingungen waren im November 1932 285 000 Jugendliche im Freiwilligen Arbeitsdienst erfaßt. Zynischerweise ermöglichte der Zustrom von Bewerbern sogar eine Auswahl zwischen den Jugendlichen. Diese Tatsache zog weitere Repressalien nach sich. So wurde z.B. verstärkt ein „Zeugnis über die geistig-charakterliche Eignung zum freiwilligen Arbeitsdienst“ verlangt.
Der Freiwillige Arbeitsdienst nach 1933
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurde der FAD in seinen Grundstrukturen übernommen. Es erfolgte eine „Säuberung“ unter den Trägern und die Besetzung der Trägerschaften zu mindestens 60% mit Mitgliedern aus
NS-Vorfeldorganisationen. Die Richtlinien zur Bestrafung bei „Fehlverhalten“ wurden verschärft. Strafen von bis zu 4 Wochen Stuben- und Lagerarrest oder 8 Monaten Gefängniszellenarrest konnten verhängt werden. Anfang 1935 war der FAD zu einer einheitlichen, militärisch organisierten Massenorganisation umstrukturiert worden. Da die Ableistung des Wehrdienstes an die vorherige Teilnahme am FAD gebunden war, bestand spätestens ab diesem Zeitpunkt eine allgemeine Arbeitsdienstpflicht, die noch ergänzt wurde durch die „Landhilfe“ und das „Hauswirtschaftliche Jahr“.
Auch wenn die Nationalsozialisten stärker als zuvor den Zwang durchsetzten, wurde die Akzeptanz für solche Zwangsmaßnahmen schon viel früher geschaffen. Gerade die Begründung des Arbeitszwangs aus disziplinarischer Sicht und die Etablierung einer Arbeits- und Gemeinschaftsethik boten der faschistischen Ideologie fruchtbaren Boden.
Kontinuitäten nach 1945
Im 1961 geschaffenen Bundessozialhilfegesetz (BSHG), durch das erstmals ein Rechtsanspruch auf Sozialhilfe begründet wurde, findet sich die Arbeitsverpflichtung, wie sie in der Weimarer Republik und in den Anfangsjahren des Nationalsozialismus bestand, wieder. Bis 1974 existierte sogar ein Paragraph (§26), der die Arbeitshausunterbringung für diejenigen anordnete, die sich weigerten, „zumutbare“ Arbeit anzunehmen. Als sehr beständig erweist sich auch die Drohung, bei Arbeitsverweigerung das zum Existieren Notwendigste zu streichen.
Wer auf staatliche Hilfe angewiesen ist, wird nicht nur rechtlos, sondern steht auch in dem ständigen Zwang, die Berechtigung seiner Existenz legitimieren zu müssen.