Abschiebung

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Rassismus & Migration Abschiebung

Widerstand im Ausnahmezustand

Abschiebegefängnisse sind paradoxe Orte. Menschen, die dort inhaftiert sind, werden auf dem Territorium eines Staates eingesperrt, in dem ihnen juristisch das Aufenthaltsrecht entzogen wird. Offiziell sind diese Menschen inhaftiert, um eine Verwaltungsmaßnahme zu exekutieren – die Abschiebung. Es sind Menschen, die in der Regel keine Straftat begangen haben, sondern die von einer bestimmten Handlung abgehalten werden sollen. Der Handlung unterzutauchen und sich so dem Zugriff der Ausländerbehörde zu entziehen.

Die Inhaftierung ist somit eine präventive Maßnahme. Nichts Ungewöhnliches möchte man meinen. Es ist nicht selten, dass DemonstrantInnen präventiv in Gewahrsam genommen werden. Manch BetrunkeneR ist morgens in einer Zelle aufgewacht. Und doch sind die nterschiede gravierend.

Totale Institutionen

Obwohl Abschiebehaft, die in der BRD immerhin bis zu anderthalb Jahre dauern kann, ein Richter anordnet, prüft dieser jedoch die Gründe für die Anordnung der Abschiebehaft nicht inhaltlich. Die Anhörungen haben meist rein formalen Charakter und dauern selten länger als zehn Minuten. Eine angemessene Übersetzung findet meist nicht statt. Anwaltlicher Beistand ist eher die Ausnahme denn die Regel und in der Urteilsbegründung wird oft direkt die Darstellung der Ausländerbehörde übernommen. (Einblicke 2003, S. 51)

Die Formalitäten sind Teil eines »Rituals des Entzugs von Menschen- und Bürgerrechten«. Eines Rituals, das die Abschiebehafteinrichtungen als »Ortes des Ausnahmezustandes« markieren, in dem »schlechthin alles möglich« ist (Agamben 2001). Sie produzieren eine Struktur, die an Orten, welche Hunderte Kilometer von einander entfernt sind, die immer gleichen Ereignisse hervorbringen.

Nichts unterscheidet den Fall der vietnamesischen Abschiebegefangenen Thi N., die in Dresden in Abschiebehaft stundenlang gefesselt wurde, weil sie nicht akzeptierte, dass ihr das Duschen verboten worden war (taz, 27./28.11.2004, S.7), von der Kenianerin Alice K., die in Eisenhüttenstadt zwischen dem 12. September und dem 13. Oktober 2004 insgesamt neun Mal und bis zu acht Stunden hintereinander am ganzen Körper gefesselt wurde. Der Fall der Frauen, die im Bremer Abschiebegefängnis vergewaltigt wurden, ist nur ein Hinweis darauf, wie selbstverständlich die totale Entrechtung der Häftlinge für die Vollzugsbeamten ist. So selbstverständlich, dass der Polizist, der die sexuellen Übergriffe begangen hat, Fotos per Selbstauslöser von seinen Taten machte (taz Bremen, 17.11.2003, S. 21).

Mögen die Gefangenen in Abschiebehaftanstalten weitestgehend rechtlos sein, wehrlos sind sie nicht. Die entwürdigenden Verhältnisse bringen immer wieder Formen des Widerstandes hervor. Einige haben tragische Konsequenzen, gelegentlich haben sie Erfolg. Im Folgenden sollen die Geschichten von Widerstand Beachtung finden, die im Blickfeld der bundesdeutschen Behörden nicht vorkommen. MigrantInnen und Flüchtlinge bleiben auch in Abschiebehaft Subjekte, die nicht allein als Opfer und Bedürftige von Mitleid und sozialarbeiterischer Fürsorge gesehen werden sollten. In einer Situation dauernder körperlicher und geistiger Konditionierung die Kraft zum Widerstand aufzubringen, verlangt Beachtung.

Stundenlange Fesselungen

Eisenhüttenstadt befindet sich ca. 120 Kilometer östlich von Berlin. Irgendwo im Nirgendwo an der polnischen Grenze zwischen Frankfurt/Oder und Guben. Seit 1996 gibt es dort am Rande der Stadt, auf dem Gelände einer stillgelegten Armeekaserne, die Abschiebehaftvollzugseinrichtung des Landes Brandenburg. Hinter fünf Meter hohem Stacheldrahtzaun werden in einem unscheinbaren weißen Container-Neubau bis zu 108 Menschen eingesperrt. Bereits im November 1997 kam die Abschiebehafteinrichtung in die Schlagzeilen. Das Gefängnis musste vorübergehend geschlossen werden, weil sich die Gefangenen mit einem 31jährigen Ghanaer solidarisierten, der sich seiner Abschiebung widersetzte. Häftlinge zündeten Gegenstände an und wehrten sich mit Flaschen und Stuhlbeinen gegen die Polizei (taz, 22.11.1997). Es entstanden, nach Angaben der Anstaltsleitung, 25.000 Mark Sachschaden.

Kein halbes Jahr später glückte fast ein Ausbruchsversuch. Hundert PolizeibeamtInnen und Angehörige des BGS gingen in der Nacht vom 5. auf den 6. Mai 1998 gegen knapp 50 Gefangene vor, denen es gelungen war, Ziegel aus der Mauer zu lösen. Nachdem zunächst der Wachschutz gegen die Gefangenen einschreitet, wehren sich diese mit Stühlen und zünden Matratzen an. Bereits in der Woche zuvor hatte es einen Hungerstreik gegeben. Dieser wurde, nachdem eine der Forderungen – die Bereitstellung von Fernsehprogrammen aus den Herkunftsländern – erfüllt wurde, eingestellt (Jungle World, 13.05.1998).

An diesem Ort war auch die Kenianerin Alice K. von September bis Dezember 2003 inhaftiert. Sie hatte Asyl beantragt, das als »offensichtlich unbegründet« abgelehnt wurde. Ihre Art von Widerstand war ein persönlicher und stellte den Versuch dar, die tägliche Disziplinierung im Knastbetrieb zu ignorieren und zu irritieren. Sie weigerte sich, die Anweisungen der Wärter zu befolgen. Sie ging nicht in ihren Haftraum, wenn sie sagten, sie solle. Sie versuchte, sich einen kleinen Freiraum zu nehmen, das System Knast nicht zu akzeptieren. Später griff sie zu Selbstverletzungen, trank Desinfektionsmittel und Shampoo, randalierte in ihrer Zelle. Die Reaktion darauf war von Anfang an Repression. Die Infragestellung der Autorität und Disziplinierung rüttelte an den Säulen des Systems Knast. Alice K. wurde gefesselt und gefoltert. Die verzweifelten Taten des Widerstandes zeigen den engen Spielraum, der Menschen zugebilligt wird, die sich nicht in das System Knast einfügen. Ihre Geschichte zeigt, wie Menschen in Abschiebehaft zerstört werden, wie ihr Willen gebrochen und versucht wird, sie in das System der Disziplinierung einzuzwängen. Mehrmals wurde Alice K. in die Zellen 2007 und 2008 des Eisenhüttenstädter Abschiebegefängnisses gebracht. Eine dieser Zellen kann ohne Übertreibung als »Folterzelle« beschrieben werden. Während die Zelle 2008 ein völlig leerer Raum ist, in den nur bei Bedarf eine Matratze gelegt wird, ist die Zelle 2007 mit einer in den Boden eingelassenen Fesselungsvorrichtung ausgestattet.

Alice K. beschreibt die Vorrichtung in einem Brief so: »Sie fesseln dich mit dem Kopf nach unten. Dann binden sie deine Hände und deine Beine weit auseinander. Ein Gurt kommt um den Leib. Manchmal binden sie auch die Gurte von den Oberarmen mit dem Gurt um den Leib zusammen, so dass du gar keine Kraft mehr hast. 12 Stunden war ich in dieser Position, das war die längste Zeit, die ich da war. Manchmal ist eine Schwester anwesend, die schaut, ob die Gurte eng genug sind. Nach vier Stunden kommen sie wieder und fesseln dich erneut. Aber nun mit dem Gesicht nach oben. Wenn sie denken, dass man jetzt ruhig genug ist, bringen sie dich in die Zelle gegenüber und sie geben dir diesen Tee mit Medizin drin. In dieser Zelle bleibst du 2 oder 3 Tage, solange sie wollen. Wenn du anfängst zu schreien oder die Kontrolle verlierst, bringen sie dich wieder in die Zelle gegenüber und binden dich wieder fest. Als sie mich fesselten waren sie zu sechst. Drei Sicherheitsbeamte und drei Beamte von der Ausländerbehörde. Einige halten dich unten, die anderen fesseln dich. Wenn das das Gesetz ist, muss ich sagen, das ist die inhumanste Art jemanden zu behandeln. Es ist unmenschlich und die beste Art Hass zu empfinden. Ich hasse das und wünsche niemandem, dass er eine solche Erfahrung macht.«

Letztendlich führte diese Form des Widerstandes zur Zerstörung. Mehrmals droht Alice K. mit Selbstmord. Im Dezember 2003 wurde sie nach Kenia abgeschoben. Alice K. ist während der Abschiebehaft psychisch erkrankt, so wird von ihr nahe stehenden Personen berichtet. Die Frage, ob sich diese Art von (selbstzerstörerischem) Widerstand lohnt, lässt sich als Außenstehender nicht beurteilen, doch zeigen die Vorfälle deutlich, mit welchen Mitteln im Ernstfall Menschen in Abschiebehaft gebrochen werden.

Für Olaf Löhmer vom Flüchtlingsrat Brandenburg ist diese Behandlung kein Einzelfall. Er schreibt, »die Menschen in der Abschiebehaft sind angesichts ihrer ungewissen Zukunft oft hochgradig verzweifelt. Psychische Notsignale, wie Selbstverletzungen und hohe Aggressivität, werden in der Abschiebehaft in Eisenhüttenstadt nicht medizinisch oder psychologisch behandelt, sondern diese Menschen werden statt dessen mit extremen Mitteln ruhig gestellt. [...] Solche Verhaltensauffälligkeiten sind das sicherste Zeichen dafür dass die Betroffenen nicht haftfähig sind. Auch die Menschenwürde von Abschiebehäftlingen muss unantastbar sein«.

Eine Meuterei und ihr Scheitern

Neben dem vereinzelten, oft verzweifelten Widerstand, der meist nur in Aktennotizen Erwähnung findet, kommt es auch zu organisierten kollektiven Aktionen. Im Sommer 1994 fand in Kassel eine der Aufsehen erregendsten Gefängnisrevolten statt. Die Untersuchungshaftanstalt Elwe befindet sich in einem Backsteingebäude am Rande der Innenstadt von Kassel. Die Geschehnisse waren dramatisch, die »Meuterei in der Elwe« ging in die Geschichte ein, und der Staat zeigt ein anderes Mal, mit welcher Härte er gegen widerständige Abschiebehäftlinge vorzugehen bereit ist.

Fünf Monate oder länger waren die Menschen, hauptsächlich Algerier, im Kasseler Untersuchungsgefängnis Elwe inhaftiert – die Bedingungen miserabel, das Gefängnis überbelegt, die Behördenwege zäh. Damals stellte Algerien für lediglich 50 Menschen jährlich Papiere aus, damit diese vom deutschen Staat abgeschoben werden können, doch allein in Hessen saßen derzeit 68 Menschen in Abschiebehaft. Im Sommer 1994 eskalierte die Situation. Am Vormittag des 24. Juli 1994 bedrohten Häftlinge einen Wärter beim Hofgang mit einer selbstgebauten Bombenattrappe und brachten den Wärter sowie die Schlüssel für große Teile des Gebäudes in ihre Gewalt. Sie öffneten die Zellentüren, zerstörten das Mobiliar und verbrannten die Akten. Ihre Forderungen: Freiheit und die Reise in ein angrenzendes Land. Plötzlich brach Feuer im Gebäude aus, das die Feuerwehr zwar löschen kann, aber das trotzdem große Teile des Gebäudes verwüstete. Am Abend stürmte die Polizei das Gebäude, um den Wärter zu befreien, musste sich aber wieder zurück ziehen, da sie ihn nicht dort antraf, wo sie ihn vermutete. Die hessische Justizministerin und der Innenminister reisten an. Es fuhr ein Bus vor. Die Häftlinge haben zugestimmt, sich erst Mal nach Wiesbaden verlegen zu lassen in der Hoffnung auf bessere Bedingungen und wegen der Nähe zum Frankfurter Flughafen. Sachen werden gepackt und in Kisten verstaut. Am nächsten Morgen um acht Uhr steigen 28 Häftlinge in den Bus. Mittlerweile ist, was die Häftlinge nicht wissen, die Grenzschutztruppe GSG 9 angefordert worden. Ein Iman, eine Dolmetscherin und eine Rechtsanwältin steigen, auf Bitten der Polizei, mit hinzu. Doch während die Gefangenen auf die Abfahrt warten, stürmen die GSG 9 den Bus. Alle Aufständischen werden festgenommen, die vier »Geiseln« befreit. »Wir waren keine Geiseln, wir sind freiwillig in den Bus gestiegen«, wird die Anwältin später sagen, doch das ändert die offizielle Geschichtsschreibung nicht mehr.

Der Knast ist im Inneren nahezu völlig zerstört. Es wird von eingeschlagenen Türen zerschlagenen Schreibtischen, umgekippten Getränkeautomaten, herausgerissenen Heizkörpern und demolierten Stahltüren berichtet. Die Wut muss, so die Hessisch Niedersächsische Allgemeine (HNA), unbändig gewesen sein. Eine Wut auf ein Abschiebesystem, das Menschen ohne wirklichen Grund hinter Gitter steckt, welches marode und völlig überfordert ist. Ein System, in dem »Zustände herrschen, die mit menschenwürdigen Umständen nichts mehr zu tun haben«, wie Gefängnisgeistliche berichten, Im Nachhinein spricht auch der Leiter des Kasseler Strafvollzugs von einer »unerträglichen Situation« in der Elwe.

Ein angeklagter GSG 9 Beamter wird freigesprochen, die Aufständischen geschlagen zu haben, die Aufständischen jedoch werden zu teilweise mehrjährigen Haftstrafen (zwei bis fünf Jahre) verurteilt. Erst 1 1⁄2 Jahre später wird bekannt, dass die Aufständischen im Gefängnis Wehlheiden, in das sie nach der Niederschlagung gebracht wurden, schwer misshandelt wurden. Von Spießrutenlaufen, über Stockschläge bis dazu, dass sich Häftlinge nackt ausziehen mussten, reichen die Schilderungen. Nach der Ankunft in Wehlheiden hätten Blutlachen weggewischt werden müssen, berichten andere Häftlinge.

»Gefängnisrevolten haben so gut wie nie Aussicht auf Erfolg. Sie verlaufen häufig tödlich für Gefangene und Geiseln. Was sich auf brutale und selbstvernichtende Weise Luft macht, ist nichts anderes als Verzweiflung. Gefangene, die meutern, sind auf dem Wege zum Selbstmord.«, schreibt die HNA am 26.07.1994, eine Einschätzung die bisher nicht durch die Realität widerlegt ist.

Die Architektur der Repression...

Es versteht sich von selbst, dass Institutionen auf Versuche von Widerstand reagieren. Zum Teil, indem sie auf einige Forderungen eingehen. Zum Teil, indem sie versuchen, durch taktische Anordnungen weiteren Widerstand unmöglich zu machen. Teilweise werden kleinere Forderungen, wie beispielsweise das Bereitstellen von internationalen Fernsehprogrammen, oder den Abbau von Glasscheiben in Besuchsräumen (Abschiebeknast Grünau) strategisch erfüllt, um Ruhe zu schaffen.

Eine weitere Konsequenz aus solchen Vorfällen war, beispielsweise im Abschiebegefängnis Eisenhüttenstadt, dass das Innere neu gegliedert wurde. Nach dem Aufruhr im November 1997 wurden neue Gittertüren eingesetzt. In dem im August 1999 eröffneten Neubau der Abschiebehaftanstalt wurde zudem die zuvor praktizierte Zweiteilung in eine Frauen- und eine Männeretage durch eine Dreiteilung abgelöst. Nun mehr gibt es zwei Männertrakte und einen Frauentrakt. Dies bedeutet, dass trotz höherer Belegungsstärken weniger Gefangene unter einander in Kontakt treten können. Ebenfalls zusammen mit dem Neubau wurden die zwei »Beruhigungszellen« in Betrieb genommen.

...und das diskrete Design der Ruhigstellung.

Bevor Menschen in die »Beruhigungszellen« eingesperrt werden, gibt es in Eisenhüttenstadt noch eine ganze Reihe diskreterer Maßnahmen, um widerständiges Verhalten zu unterbinden. Der Entzug des Hofgangs, der ohnehin nur eine Stunde am Tag gewährt wird, ist eine Disziplinierungsmaßnahme, die von der Anstaltsleitung offiziell zugegeben wird. Häftlinge in die psychiatrische Abteilung des Krankenhauses Frankfurt (Oder) einzuweisen, ist eine der härtesten Methoden, Gefangene ruhig zu stellen. So wurde nach Berichten der Antirassistischen Initiative Berlin (ARI) im September 2000 der russische Staatsbürger David Alekseenko 5 Tage lang zwangseingewiesen. Anlass war, dass Alekseenko in einen Hungerstreik getreten war. Er protestierte damit gegen seine erneute Inhaftierung in Brandenburg, nachdem er bereits in Berlin nach einem halben Jahr in Haft entlassen worden war, weil die Behörden ihn nicht abschieben konnten. Die Indikation einer psychischen Erkrankung lag nicht vor. Auch Alekseenko wurden, nachdem er wieder in das Abschiebegefängnis zurückverlegt worden war, das Duschen und der Hofgang verwehrt.

Häufiger noch als die Zwangseinweisung ist jedoch die Medikation mit Beruhigungsmitteln, wie zum Beispiel das Mittel Faustan. Mehrere Häftlinge haben in der Vergangenheit unabhängig voneinander berichtet, dass ihnen in Eisenhüttenstadt von dem Mediziner Dr. Gläser oder einer Krankenschwester bei Beschwerden Tabletten verabreicht wurden. Diese Tabletten führten zu Gleichgültigkeit und Einschränkungen der Motorik. Was für Medikamente sie erhielten, wurde den Häftlingen verschwiegen.

Eine andere Methode, Druck auszuüben, ist, persönliche Dinge der Gefangenen zu beschlagnahmen. Werden solche Vorfälle gegenüber Gerichten zur Sprache gebracht - wie z.B. im Falle von Alice K., die Anzeige gegen das Personal der Abschiebehaftanstalt gestellt hatte – , werden die Beschlagnahmungen damit gerechtfertigt, dass die Gegenstände zu Selbstverletzungen benutzt werden könnten. Alice K. durfte beispielsweise weder Seife noch Duschgel und Creme besitzen. Wehren können sich die Gefangenen dagegen nicht, da die Schränke in den Zellen nicht abschließbar sind.

Anlass zu Hoffnung? Anlass neue Werkzeuge zu suchen!

Vergegenwärtigt mensch sich die Gewalt, die in den geschilderten Gegenmaßnahmen zum Ausdruck kommt, ist mensch vielleicht geneigt, alle Hoffnung fahren zu. Die Abschiebemaschine funktioniert vielleicht nicht reibungslos, aber scheinbar mit so wenig Reibungswärme, dass Ausbruchsversuche, wie sie Ende der 90er Jahre stattfanden, kaum mehr möglich erscheinen. Und doch gibt es immer noch Menschen, die sich wehren, die Briefe nach draußen schreiben, die Anzeigen machen, obwohl sie, wenn diese Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft landen, wahrscheinlich schon abgeschoben worden sind. Immer noch gibt es Menschen, die ihr Leben riskieren und nach Selbstverletzungen freigelassen werden müssen. So zum Beispiel Hannah N. Ihr gelang es, im Herbst 2003 ihre Freilassung zu erwirken, nachdem sie ein Flasche Shampoo getrunken hatte und ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Mitte Mai 2004, so berichtete eine Inhaftierte in Eisenhüttenstadt, sei es einem Mann gelungen, dort auszubrechen. Mit einem Stuhlbein habe dieser die Gitter vor dem Fenster aufgebogen. Mit Hilfe einer Matratze, die er über den Stacheldraht geworfen hatte, überwand er anschließend den Zaun. Oder es gibt kollektive Aktionen wie der Hungerstreik im Abschiebeknast Grünau in Berlin im Januar 2003, nach dem ein Großteil der Hungerstreikenden freigelassen wurde.

Immer wieder gelingt es Häftlingen, ihre Abschiebung zu verhindern oder zumindest zu verzögern. Es bleibt daher wichtig, Menschen in Haft zu besuchen, um Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Denn nur so kann das Wissen um die Widerstände in den Knästen nach draußen dringen und von hier unterstützt werden. Nach wie vor ist es notwendig, von den Auseinandersetzungen, die in der Haft stattfinden, draußen zu berichten. Wissen über Widerstandspraktiken weiterzugeben, bleibt genauso eine Aufgabe, wie jene zu unterstützen, die täglich mit den rassistischen Strukturen der deutschen Abschiebemaschinerie konfrontiert sind.

Literatur:

Agamben, Giorgio im Gespräch mit Beppe Caccia. In: Jungle World 28/01, 2001.

CPT/Inf (2003) 20: Report to the German Government on the visit to Germany carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) from 3 to 15 December 2000.

CPT/Inf (2003) 21: Stellungnahme der Regierung der Bundesrepublik Deutschland zum Bericht des Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) anlässlich seines Besuches in Deutschland vom 3. bis 15. Dezember 2000, Straßburg 2003.

Ohne Autor (2003): Einblicke in die Realität der Abschiebehaft in Berlin, Berlin.

Renner, Günther (1999): Ausländerrecht. Kommentar. 7. Auflage: München.