Zur Außenpolitiktagung am 29.10.2003

veröffentlicht am Militarismus & Außenpolitik

Militarismus & Außenpolitik Zur Außenpolitiktagung am 29.10.2003

Heißer Herbst

Bundespräsident Johannes Rau setzt am 6. September auf einer Veranstaltung des Bundes der Vertriebenen die von Hitler-Deutschland begangenen Verbrechen mit dem so genannten Unrecht der Anti-Hitler-Koalition gleich. ¨ Die Verdoppelung des Kommandos Spezialkräfte (KSK), einer militärischen Sondereinheit der Bundeswehr, wird am 8. September beschlossen. ¨ Am 23. September deutet Bundeskanzler Gerhard Schröder vor der UN-Generalversammlung Deutschlands Interesse an einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat an. ¨ Deutschland setzt sich weiterhin vehement für die Einführung von Mehrheitsentscheidungen in der EU ein, durch die die Vormachtstellung der bevölkerungsreichen Länder, also die eigene, weiter ausgebaut würde. ¨ Anfang Oktober wird Schröder in mehreren arabischen Ländern dank seiner Ablehnung des Irakkriegs begeistert empfangen, so wird diversen Wirtschaftsabkommen mit der Region der Weg bereitet. ¨ Verteidigungsminister Peter Struck schlägt am 10. Oktober vor, Entscheidungen über Kriegseinsätze dem Gesamtparlament zu entziehen und damit ein spezielles Gremium zu betrauen. ¨ Der deutsche Afghanistaneinsatz wird am 15. Oktober über die Grenzen Kabuls hinaus erheblich ausgeweitet.

Geschichtsrevisionismus, ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat, EU-Verfassung und Entsendegesetz: 13 Jahre nach der Wiedervereinigung ist das Selbstverständnis Deutschlands gekennzeichnet durch eine gezielte Machtpolitik, die mit Imponiergehabe die systematische Ausweitung von Einflussgebieten verfolgt. Wirtschafts-, Flüchtlings- und Verteidigungspolitik haben eine gemeinsame Richtung: den Einfluss Deutschlands in der Welt weiter auszubauen, sei es durch Diplomatie, durch Entwicklungspolitik oder durch Militäreinsätze.

First we take Berlin.

Wie vollzog sich diese Entwicklung? Unter Rot-Grün bekam deutsche Außenpolitik ein Profil, welches über das der ”Wirtschaftsmacht Deutschland” deutlich hinausgeht. Mit dem Abzug der alliierten Truppen und der Deklaration der uneingeschränkten Souveränität 1990 begann die ”Erfolgsgeschichte” deutscher Außenpolitik. Die zunehmende Einflussnahme Deutschlands wurde mit dem Bevölkerungszuwachs, der geopolitischen Lage im Herzen Europas und der wirtschaftlichen Stärke legitimiert. Um aber den Übergang von der ”Bonner” zur ”Berliner Republik” zu vollziehen, bedurfte es eines Generationenwechsels. Erst unter Rot-Grün konnte die politische und moralische Erneuerung Deutschlands angegangen werden. Mit einem grünen Außenminister schien die deutsche Regierung über jegliche Form von Nationalismus und Großmachtpolitik erhaben. Der Krieg gegen Serbien war plötzlich aus humanitären Gründen notwendig. Deutschland befreite sich von den “Fesseln“ der Vergangenheit abgenommen, um weltweit mehr Verantwortung zu übernehmen.

Die Politik auf nationaler wie internationaler Ebene und die verschiedenen Schritte hin zur Großmacht Deutschland wurden flankiert durch einen Prozess der Mobilmachung der Nation. Das Schreckgespenst Nationalsozialismus musste bezwungen werden. Zwar wird verstärkt auch offiziell an die Verbrechen der Deutschen erinnert, aber sie sind kein Hindernis mehr für den modernen deutschen Nationalismus. Ob PolitikerInnen, Intellektuelle oder das deutsche Feuilleton: Man bedient sich der Geschichte entweder, um Deutschland gerade aufgrund seiner Vergangenheit zum legitimen Vertreter von Recht und Menschlichkeit in der Welt zu küren, oder man relativiert den Mord an sechs Millionen Juden, so dass er sich ohne Unterscheidung in die Gräueltaten anderer Staaten einreiht. Deutschland scheint heute wieder eine Nation wie jede andere zu sein, die ihre Interessen offen vertritt und internationale Organisationen zur Durchsetzung dieser gebraucht.

Then we take Manhattan.

Die rot-grüne Regierung hat die deutsche Außenpolitik in eine neue Dimension geführt. Deutschland weitet seinen Einfluss in der Europäischen Union aus und bezieht immer häufiger gegen die USA Stellung. Während in der deutschen Bevölkerung kaum Kritik oder Unbehagen gegenüber Deutschlands militärischem und wirtschaftlichem Auftreten in der Welt geäußert wird, wird das strategische Bündnis zu den USA zugunsten dezidiert nationaler Interessen aufs Spiel gesetzt: gegenüber den USA tritt man als Sachwalter des Völkerrechts auf, Polen und Tschechien werden in der Vertriebenendebatte in ihre moralischen Schranken verwiesen. Was man von diesen Konkurrenzen und Konfrontationen zu erwarten hat, bleibt bis dato ungewiss. Sicherlich ist ein deutscher militärischer Alleingang gegenwärtig sehr unwahrscheinlich und auch ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat ist noch in weiter Ferne. Jedoch ist ein Europa mit Deutschland und Frankreich an der Spitze, durch eine EU-Verfassung gestärkt und außenpolitisch selbständiger agierend, zum Greifen nah.

Diese Entwicklung wird von der politischen und medialen Öffentlichkeit kaum thematisiert. Die deutsche Presse und Öffentlichkeit scheint, wie bei der Frage nach der Beteiligung an einem Krieg gegen das Regime Saddam Husseins, geschlossen hinter der Politik ihres Kanzlers zu stehen. Dieser nationalen Geschlossenheit wollen wir uns mit unserer Tagung in den Weg stellen.