Redebeitrag Demob-Kampagne Rage against Racism-Demo 14.06.2014

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Rassismus & Migration Redebeitrag Demob-Kampagne Rage against Racism-Demo 14.06.2014

Liebe Genoss_innen,

dies ist ein Redebeitrag der Gruppe demob – Deutschland demobilisieren. Wir sind ein Teil der NFJ Berlin, der seit einiger Zeit an einer Kampagne gegen Rassismus und Nationalismus arbeitet. Zur Zeit beschäftigen wir uns vor Allem mit den rassistischen Angriffen auf Unterkünfte von Geflüchteten.

Wie viele von Euch wissen, wurde das Recht auf politisches Asyl 1949 als Lehre aus dem Nationalsozialismus im Grundgesetz verankert. 1993, nach der sogenannten Wiedervereinigung und den anschließenden Pogromen, wurde mit dem sogenannten „Asylkompromiss“ das Asylrecht von einer breiten Koalition politischer Kräfte quasi abgeschafft. In diesem Zusammenhang und durch europaweite Neuregelungen, wie z.B. die Dublin-Verfahren wurden die Möglichkeiten in Deutschland Asyl zu erhalten stark eingeschränkt. So wurde beispielsweise ein zweites, weit niedrigeres, Existenzminimum für sogenannte „Asylbewerber“ festgelegt, Hunderttausenden wurde und wird es durch eine militärische Grenzpolitik gänzlich verwehrt, überhaupt in die EU zu fliehen. Wer es in die EU schafft, ist zumeist aufgrund der Drittstaatenregelung von einem Asylantrag in Deutschland ausgeschlossen.

Die Bundesrepublik hat in der Folge die Kapazitäten zur Unterbringung von Geflüchteten drastisch reduziert. Seitdem wird der Mangel an Unterbringungsmöglichkeiten, medial immer wieder als Beweis für eine vermeintliche „Flüchtlingsflut“ aufgebauscht. Wo immer neue Unterkünfte eröffnet werden, bildet sich heftiger, rassistischer Protest. Selbst die Bundesregierung muss zugeben, dass es allein im ersten Quartal 2014 mehr Zusammenrottungen von Rassist_innen vor Unterkünften gab als im ganzen Jahr 2013. Die meisten solcher Vorfälle werden jedoch gar nicht erst erfasst, geschweige denn in einem größeren Rahmen von gesellschaftlichem Rassismus thematisiert. Zu oft werden sie lediglich als Randnotizen in Lokalzeitungen abgehandelt.

Um es nochmal deutlich zu sagen:

Tagtäglich kommt es zu rassistischen Mobilisierungen gegen Unterkünfte von Geflüchteten, sowohl im Westen als auch im Osten Deutschlands.

Sehr viele Deutsche reagieren mit offener Ablehnung, wenn in ihrem Viertel oder ihrer Stadt ein Heim entstehen soll. Das Spektrum reicht dabei von Unterschriftensammlungen über Kundgebungen und Propagandaaktionen auf der Straße und bei facebook bis hin zu direkten Angriffen und Brandanschlägen, also konkreten Mordversuchen. Inwiefern organisierte Neonazis an solchen Protesten beteiligt sind, steht für uns – im Gegensatz zur Schwerpunktsetzung anderer antifaschistischer Gruppen – nicht im Vordergrund. Dort, wo sich Neonazis beteiligen, werden sie sich mit den sogenannten „Anwohnern“ zumeist schnell einig. Wo sie nicht involviert sind, schaffen es die Bürgerinitiativen von ganz alleine, ihrem rassistischen Gedankengut Ausdruck zu verleihen. Häufig laufen solche Mobilisierungen – entgegen der medialen Darstellung – ganz ohne Beteiligung von Neonazis ab.

Die Bürger_innen werden also zumeist von sich aus aktiv und handeln im Rahmen eines rassistischen Konsenses, um Unterkünfte zu verhindern oder wenigstens den Bewohner_innen das Leben so schwer wie möglich zu machen. Wie zum Beispiel in Reinickendorf, wo Geflüchteten die Nutzung eines Spielplatzes verboten wurde. Auch in wohlhabenden Gegenden wie im Speckgürtel von Frankfurt/Main und selbst in linksliberalen Kiezen wie dem Bremer Steintorviertel kommt es zu Protesten, die sich nur in ihrem Ausdruck, nicht in ihrer Argumentation vom offen rassistischen Diskurs unterscheiden.

Neben den angeblich hohen Kosten für die Unterbringung und einem vermeintlich drohenden Wertverlust für die im Umfeld der Unterkünfte liegenden Immobilien, werden den Geflüchteten dabei immer wieder dieselben Stereotype von „Kriminalität“, „Schmutz“ und „Lärm“ zugeschrieben. Argumentativ werden vermeintliche „Sorgen und Ängste“ angebracht, oftmals wird die gesamte Lebensqualität als bedroht dargestellt. Diese Ressentiments werden zumeist von Lokalpolitiker_innen und -medien befeuert, selbst kritische Stimmen bestehen darauf, die „Sorgen und Ängste der Bürger_innen“ ernst zu nehmen.

Für uns aber ist klar: Es gibt keine berechtigten „Sorgen und Ängste“ vor Geflüchteten – die vermeitlichen „Sorgen und Ängste“ dieser Deutschen sind purer Rassismus!

In den letzten Monaten wurde in der Linken viel diskutiert, ob die heutige Situation jener zu Beginn der 1990er Jahre ähnelt: Einerseits drängen sich starke Parallelen auf, zum Beispiel in der Hetze gegen vermeintliche „Wirtschaftsflüchtlinge“, eine angebliche „Asylflut“ oder in antiziganistischen Rhetoriken. Andererseits gibt es immer wieder differenzierte Berichterstattung, an vielen Orten haben sich sogenannte Willkommensinitiativen für Geflüchtete gebildet. Die staatsoffizielle Politik propagiert derzeit ebenfalls nicht primär eine rassistische Abschottung, sondern eine „Willkommenskultur“ – zumindest für all jene Migrant_innen, die „nützen“, also kapitalistisch verwertbar sind. Diese Weiterentwicklung des Diskurses muss jedoch genauso kritisiert werden wie der rassistische Diskurs als Ganzes:

Wir lehnen völkischen und kulturalistischen Rassismus ebenso ab wie den staatsoffiziellen Leistungsrassismus!!!

Die Realität der deutschen Asylgesetzgebung und -politik ist – selbst nach einzelnen Änderungensentscheidungen, wie beispielsweise durch das Bundesverfassungsgericht – weit restriktiver und menschenverachtender als zu Beginn der 1990er Jahre. Während der deutsche Mob Millionen „Asylschmarotzer“ fürchtet, wurden 2013 weniger als 1.000 Menschen als asylberechtigt anerkannt. Der aktuelle Entwurf des Innenministeriums zum deutschen Asylgesetz verschärft diese Entwicklung und kommt noch restriktiver daher. Der rassistische Konsens in Politik und Medien wird von solchen Zahlen nur wenig gebremst. Es ist jederzeit möglich, dass die autoritär geprägten Massen diese Hetze als Signal zum Losschlagen interpretieren.

Die zahleichen Willkommensinitiativen von unten betreiben zumeist eine sozialarbeiterische Praxis, die vielen Betroffenen im Einzelfall zugute kommt. Solche Arbeit alleine kann allerdings keinen effektiven Schutz gegen eine rassistische Eskalation gewährleisten. Während einige Willkommensinitiativen sich von ethnisierenden Positionen klar distanzieren, reproduzieren andere sogar paternalistische Strukturen und exotisierende Bilder über „arabisches Essen“ oder „kurdische Volkstänze“. Im schlimmsten Fall forcieren auch wohlmeinende Unterstützer_innen die rassistische Trennung in legitime „politische Flüchtlinge“ und illegitime sogenannte „Wirtschaftsflüchtlinge“. Es ist wichtig darauf hinzuwirken, dass Willkommensinitiativen mit dem rassistischen Konsens brechen und eine ernsthafte Kritik an jeder Form von Rassismus formulieren. Nur so kann sich eine Perspektive von grundsätzlicher Solidarität mit Geflüchteten eröffnen. Und nur auf dieser Grundlage ist eine grundsätzliche Positionierung gegen die rassistischen „Sorgen und Ängste“ vieler Deutscher möglich:

Wer den Mob stoppen will, muss auf Zugeständnisse an den Mob verzichten.

Wir rufen dazu auf, sich allen Angriffen auf Unterkünfte und Geflüchtete konsequent entgegen zu stellen! Um das leisten zu können brauchen wir eine eindeutige Kritik des Rassismus. Eine solche Kritik sollte sich nicht vorrangig an den relativ wenigen Kader-Nazis abarbeiten, sondern sich auf die Mehrheitsbevölkerung fokussieren, deren Rassismus sowohl koloniale und völkische Bezugspunkte wie auch Elemente von Leistungsrassismus vereinigt. Dies ist jedoch nicht zu leisten ohne eine Analyse der modernen, durch Nation und Kapital geprägten Gesellschaft, welche die permanente Herrschaft der Dinge über die Bedürfnisse der Menschen bedeutet. Nur innerhalb solcher Rahmenbedingungen können Praktiken wie Abschiebungen, Grenzzäune und Residenzpflicht als legitim erscheinen. Und nur in einer solchen Gesellschaft können Wahnvorstellungen von Arbeitsethos und Nationalismus als erstrebenswerte Normen gelten.

Wir wollen hinwirken auf die Überwindung dieser rassistischen Strukturen, auf eine Gesellschaft, in der alle ohne Angst verschieden sein und jederzeit dort leben können, wo sie möchten!