„Eines Tages Berlinspor“

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Rassismus & Migration „Eines Tages Berlinspor“

Seit Türkiyemspor Berlin Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre an die Türen des Profifußballs klopfte, ist der Name Türkiyem weit über Deutschland hinaus bekannt. Die Redaktion sprach mit Murat Dogan, der früher für den Verein spielte, seit mehreren Jahren für den Förderverein Türkiyemspor aktiv ist und derzeit sowohl das Frauenteam als auch die B-Jugend der Mädchen trainiert, über die Vereinsgeschichte vor dem Hintergrund deutsch-türkischer Migration.

Türkiyemspor Berlin wurde 1978 als „Kreuzberg Gençler Birligi“ (dt.: „Kreuzberger Junge Union“) gegründet und kam schnell zu sportlichem Erfolg. Seither spielt Türkiyem im oberen Amateurbereich und gilt als erfolgreichster von türkischen Migrant/innen gegründeter und geführter Verein in Europa. Welche Rolle spielte die Gründung eigener Fußballvereine für die Migrant/innen der ersten Generation?

Viele der sog. Gastarbeiter/innen kamen in einem Alter nach Deutschland, in dem der Spracherwerb nicht mehr so leicht fällt; dazu kommt die soziale Ausgrenzung und der gemeinsame Bezugspunkt Türkei. Vor diesem Hintergrund sind die vielen Vereinsgründungen der 70er Jahre zu sehen. Den Leuten wurde bewusst, dass in Deutschland die zweite Heimat entstand und sie in selbstgeführten Vereinen am ehesten ihre Freiräume fanden. Nur dort konnte man uneingeschränkt die Muttersprache sprechen ohne schief angeguckt zu werden.

Inwiefern spiegelt die Vereinsgeschichte auch das Selbstverständnis türkischer Migrant/innen wieder?

Aus „Kreuzberg Gençler Birligi“ wurde bald BFC Izmirspor, da ein Großteil der im Verein Aktiven aus der westtürkischen Stadt Izmir kam. Mit dem sportlichen Erfolg und den konstanten Aufstiegen in den 80er Jahren entwickelte der Verein schnell Attraktivität über die anfängliche Gruppe hinaus, sodass der Bezug auf Izmir nicht mehr die Realität widerspiegelte. 1987 kam die letzte Namensänderung in Türkiyemspor Berlin. „Türkiyem“ heißt so viel wie „Meine Türkei“ – ein Name der große Strahlkraft besitzt und auch außerhalb Deutschlands, vor allem in der Türkei, bekannt ist. Trotz widrigster Bedingungen mauserte sich Türkiyem über die Jahre zu Berlins dritt-erfolgreichstem Verein und repräsentiert somit einen bestimmten Teil der Stadtgeschichte. Vielleicht benennen wir uns ja eines Tages um in Berlinspor (lacht).

Hat sich das Selbstverständnis im Verein über die mittlerweile 33 Jahre weiter verändert?

Allein an den Namensänderungen ist ein verändertes Selbstverständnis und Selbstbewusstsein der ersten Generation von türkischen Migrant/innen zu sehen. Die Perspektiven der Älteren, die den Verein aufgebaut haben, schwinden jedoch zusehends, was auch nicht konfliktfrei geschieht. Der Aufbau des Mädchen- und Frauenfußballs vor sechs Jahren war ein großer Schritt. In ganz Berlin gibt es nur knapp zwölf Vereine, die eine komplette Mädchen- und Frauenfußballabteilung führen; wir sind einer davon. Auch der Bezug zur Türkei ist ein anderer geworden und unterliegt Veränderungen. Auf Mitgliederversammlungen wird schon eine Weile deutsch gesprochen, im Vereinsheim, einem größeren Tee- und Kaffeehaus am Kottbusser Tor, größtenteils türkisch. Hier kommen Generationsfragen hinzu, die den Verein aber spannend und sehr heterogen machen. Seit 2010 ist mit Fatih Aslan erstmals ein ehemaliger Spieler und sog. Migrant der dritten Generation Präsident des Vereins, der gut ausgebildet ist, studiert hat und sich im liberalen Berlins bestens auskennt: also quasi das komplette Gegenteil dessen darstellt, was in den Debatten um Integration an Bildern von türkischen Migrant/innen gezeichnet wird.
Türkiyemspor besitzt, wie viele andere von Migrant/innen gegründete Vereine auch, weder eine eigene Spielstätte noch eigene Trainingsplätze und spielt dennoch mit vielen Teams höchstklassig.
Hier kommt ein strukturelles Problem zum Tragen. Während viele alteingesessene Vereine auf ihren Geländen sitzen, wurde bisher keine adäquate Antwort auf die vielen Vereinsgründungen von Migrant/innen gefunden. Es gibt schlichtweg zu wenige Plätze für die vielen Sportler/innen und die Politik konnte sich bisher nicht durchringen, dies durch gezielte Entscheidungen aufzufangen. Kreuzberg hat Berlinweit die wenigsten Plätze. Dem steht eine immens hohe Dichte an Fußballer/innen gegenüber. Hier ist der politische Wille der Verantwortlichen gefragt.

Die Versäumnisse hängen also eng zusammen mit den jahrelangen Debatten der „biodeutschen“ Bevölkerung um das eigene Selbstverständnis?

Na klar, die Tatsache, dass dort bisher wenig geschehen ist, spiegeln auch die Debatten um „Deutschland als Einwanderungsland“ der vergangenen Jahrzehnte wieder. Mittlerweile hat sich zwar in Teilen der Gesellschaft die Meinung durchgesetzt, dass ein Großteil der früheren Migrant/innen bleiben wird. Dennoch wurde dies materiell zu wenig abgesichert. Da sind die in den letzten Jahren ins Leben gerufenen Integrations- und Toleranzpreise zwar ein guter Schritt, doch dahinter muss auch materiell etwas passieren. Dort klaffen große Lücken, worin sich auch der aktuelle Stand staatlicher „Integrationsbemühungen“ symbolisiert.

Unter welchen Bedingungen findet die sportliche Arbeit statt?

Bis sich an dem Problem der Sportplätze nichts ändert, werden unsere knapp 20 Teams, 1. Herrenmannschaft, Frauenteams, Jugendmannschaften, weiterhin zwischen verschiedenen Plätzen zum Training pendeln – je nach dem, wo gerade etwas frei ist. Alleine eine mobile Flutlichtanlage würde uns schon sehr helfen, da der Trainingsbetrieb im Winter, wenn es früh dunkel wird, teilweise unmöglich ist. Die 1. Herrenmannschaft trägt ihre Spiele im Jahnsportpark im Prenzlauer Berg aus, eine Gegend in der wir einfach nicht verankert sind. Türkiyem als Kiezverein, zu dessen Heimspielen im Kreuzberger Katzbachstadion mehrere hundert Leute kommen, tut sich schwer, im Nordosten der Stadt Fuß zu fassen, was an sich nicht unnormal ist. Hertha BSC repräsentiert den Berliner Westen und Union eben Köpenick.

Warum spielt ihr nicht im Kreuzberger Katzbachstadion?

Wir dürfen nicht im Katzbach spielen, weil die Auflagen des DFB für die Regionalliga zu hoch sind: Wir haben vor Ort keinen Presseraum, keine VIP-Lounge. Türkiyem aber braucht sein soziales Umfeld, mitten in Berlin, in Kreuzberg. Was wäre St.Pauli ohne seinen Kiez? Das isoliert den Klub von seinem Umfeld. Hinzu kommt, dass sich (bio)deutsche Sponsoren immer noch kaum für die sog. Migrant/innenvereine interessieren. Auch Türkiyem wurde immer durch Kreuzberger Unternehmer/innen gefördert, die mit dem Verein etwas verbanden. Ohne diese lokale Unterstützung wäre der Verein heute nicht da, wo er ist.

Während der Verein in Kreuzberg tief verwurzelt ist, erklärte Angela Merkel Multikulti für tot.

Die Berliner „Fußball-Woche“ hatte eine schöne Antwort auf die Aussage Angela Merkels parat. Ein Blick in die Tabellen der Berliner Ligen genüge, um zu sehen, dass Multikulturalität in Berlin eine nicht verschweigbare Realität darstellt: Teams wie Hürtürkel, Galatasaray Neukölln, Club Italia und viele weitere spielen dort.

Türkiyemspor hat 2007 den vom DFB ins Leben gerufenen Integrationspreis gewonnen. Wie steht es um die Aufmerksamkeit, die dem Verein zuteil wird in puncto Integration?

Ich stehe dem Begriff Integration kritisch gegenüber, da der Verein oftmals darauf reduziert wird. Natürlich stehen wir für ein weltoffenes Berlin und haben einen multikulturellen Background. Doch ist es bedenklich, wenn man sieht, dass die mediale Öffentlichkeit vor einem Länderspiel zwischen der Türkei und Deutschland viel höher ist als im Hinblick auf unsere sportlichen Erfolge. Letzterer erhält kaum Aufmerksamkeit, wodurch sich der Status als reiner Migrant/innenverein immer wieder festigt. Wenn wir im Rahmen sog. Integrationsdebatten Interviewanfragen zuhauf bekommen, schreibt das selbst bei besten Absichten den Status als Migrant/innen fest.

Wie hoch bzw. gering ist denn die mediale Aufmerksamkeit um eure sportlichen Erfolge?

Unser Aufstieg in die Regionalliga hat 2008 keine auch nur annähernde Öffentlichkeit erfahren wie es nach der Buchveröffentlichung Sarrazins geschah sondern wurde außerhalb der Fachpresse im ganzen Berliner Raum nur ein mal erwähnt. Während der Diskussion um Sarrazins Buch hingegen erhielten wir Interviewanfragen im dreistelligen Bereich.

Was sollte sich deiner Meinung nach ändern?

Die Berichterstattung über unsere sportlichen Erfolge sowie unser soziales Engagement sollten ausgeglichener werden. Zudem sollte endlich jede/r verstanden haben, dass wir ein Berliner Verein mit türkischem Namen und einem sehr heterogenen Background sind. Man sieht anhand der Vereinsgeschichte, wie sich der Verein im Berliner Fußball etabliert hat und mittlerweile fest zu Berlin gehört. Dennoch werden wir immer noch als türkischer Verein bezeichnet, was der Realität nicht entspricht. Unsere Spieler und Spielerinnen sind Berliner/innen und leben metropolitane Großstadtleben. Es ist doch schön zu sehen, dass Begriffe wie „mavi-beyaz“ (dt.: blau weiß) mittlerweile in der Berliner Fußballszene vielen bekannt sind. Das macht Berlin aus. Alles andere ist aufgesetzt. Die Zeiten, in denen bei uns fast ausschließlich türkische Kids spielten, sind längst vorbei. So wünsche ich mir, dass unsere sozialen Aktivitäten nicht immer als Integrationsarbeit betitelt werden, denn der Rahmen unserer Arbeit ist Sport und Soziales in Berlin, nicht Leitkultur und Fremdsein.

Dennoch ist der Verein nicht nur für seine sportlichen Erfolge bekannt, sondern auch für sein soziales Engagement.

Zu Recht. Unsere Philosophie ist es, den Jugendlichen nicht nur eine sportliche, sondern auch eine soziale Ausbildung zu bieten. Wir, besonders im Förderverein, sind uns als Fußballverein unserer sozialen Verantwortung bewusst, was leider nicht in allen Klubs der Fall ist. Von daher engagieren wir uns gerne gegen Homophobie, Rassismus und Sexismus, organisieren Austausche wie im Januar 2011 mit einem israelisch-palästinensischen Frauenteam. Wir würden uns freuen, wenn dies mehr Vereine tun würden.

Erschienen in:
Körperbilder und Bewegungsspiele (2011)