Die Friedensnation schlägt zurück

veröffentlicht am Militarismus & Außenpolitik

Militarismus & Außenpolitik Die Friedensnation schlägt zurück

Es geht voran mit der deutschen Großmachtpolitik

Die Demokratische Republik Kongo werde in Zukunft ,,auf Grund ihrer Größe, des Rohstoffreichtums und der zentralen Lage an politischem und wirtschaftlichem Gewicht erheblich gewinnen“

Der Irakkrieg trieb viele auf die Straßen. Einige PolitikerInnen der rot-grünen Koalition ließen sich auf den Friedensdemonstrationen feiern. Als sei es nicht absurd genug, wenn PolitikerInnen der Regierungsparteien für ihre eigene Politik auf die Straße gehen. Noch merkwürdiger wird es, wenn eben diese PolitikerInnen nach der Demo gegen den Krieg in der Kabinettsitzung die neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien beschließen, die den Umbau der Bundeswehr zur international agierenden Kampftruppe besiegeln. Im Frühjahr 2003 ging Friedensliebe und die Planung neuer Kriege Hand in Hand. Während die Mahnwachen aufgelöst und die PACE-Fahnen eingerollt wurden, bereitete die rot-grüne Regierung den nächsten Kampfeinsatz vor.

Nächster Halt: Kongo, Südwestafrika

Im Windschatten der Irakkriegsproteste erließ der Verteidigungsminister Peter Struck am 21. Mai 2003 ohne Empörung der Öffentlichkeit neue verteidigungspolitische Richtlinien. Darin heißt es über den Sinn und Zweck von Bundeswehr und Auslandseinsätzen: „Künftige Einsätze [lassen sich] wegen des umfassenden Ansatzes zeitgemäßer Sicherheits- und Verteidigungspolitik und ihrer Erfordernisse weder hinsichtlich ihrer Intensität noch geographisch eingrenzen. Der politische Zweck bestimmt Ziel, Ort, Dauer und Art eines Einsatzes.“ Und so führte „der politische Zweck“ Anfang Juni die Bundeswehr in den Kongo, wo ein von Warlords angeleiteter Bürgerkrieg schon tausende Menschenleben gefordert hat. Die Bundeswehr beteiligt sich - ohne jegliche öffentliche Diskussion - am ersten Kampfeinsatz der EU-Eingreiftruppe. Aus einem Papier des Außenministeriums zur „Außenpolitischen Strategie für Zentralafrika“ 2003 geht hervor, dass das Sichern eines deutschen bzw. deutsch-europäischen Machtbereichs in Afrika im Interesse deutscher Außenpolitik liegt. Dort heißt es über den Kongo, dass das „wirtschaftliche Potenzial des Landes“, das „seit der Unabhängigkeit nie voll ausgeschöpft werden“ konnte, als „enorm“ einzuschätzen ist. Die Demokratische Republik Kongo werde in Zukunft ,,aufgrund ihrer Größe, des Rohstoffreichtums und der zentralen Lage an politischem und wirtschaftlichem Gewicht erheblich gewinnen“. Mit dem Kongo-Einsatz der Bundeswehr geht es einen Schritt weiter zu mehr Eigenständigkeit deutscher und europäischer Außenpolitik: Flexibel und schnell dort eingreifen, wo die eigenen Einflusssphären bedroht sind oder ausgebaut werden können. Und zwar ohne Rückgriff auf die NATO und damit ohne die USA. Die Haltung der Bundesregierung zu Irakkrieg und Kongo-Einsatz sind dabei kein Widerspruch: Entscheidend für die Frage ob PACE-Fahne oder Kriegseinsatz ist lediglich, was den eigenen Interessen am besten dient, auf dem internationalen Parkett opportun und innenpolitisch durchsetzbar ist. In der Ablehnung des Irakkriegs und dem Einmarsch in den Kongo verbinden sich wirtschaftliche Interessen mit dem Bedürfnis nach internationaler Profilierung. Außenpolitik umfasst nicht nur die Umstrukturierung der Bundeswehr, sondern auch die Förderung deutscher Wirtschaft im Ausland und die Erschließung neuer Exportmärkte. So fördert Bundeswirtschaftsminister Clement politisch und finanziell unter dem Motto „Weltweit aktiv“ die globale Ausweitung der deutschen Exportwirtschaft. Im Wettbewerb mit lokalen Firmen sollen Absatzmärkte vor allem in Osteuropa erobert und die eigene Wirtschaft auf Kosten osteuropäischer Länder saniert werden, denn „grenzüberschreitende Investitionen gehören zu den wichtigsten Voraussetzungen für Wohlstand in Deutschland“, wie es 2003 in einem „Aktionspapier“ des Wirtschaftsministeriums heißt.

Wind of Change

Der Kongo-Einsatz ist die Spitze einer Entwicklung, die mit der Vereinigung Deutschlands, dem Abzug der alliierten Truppen und der uneingeschränkten Souveränität 1990 ihren Anfang nahm. Was Bundeskanzler Kohl langsam begann, gewann mit dem Regierungswechsel 1998 an Geschwindigkeit. Rot-Grün rief das Ende der „Bonner Republik“ und der militärischen Zurückhaltung aus. Die „Berliner Republik“ steht für neues deutsches Selbstbewusstsein, die offene Verfolgung von Wirtschaftsinteressen und die Forderung nach mehr politischer Macht im Spiel der Großmächte. Zur Legitimation des Einsatzes im Kosovokrieg 1999 argumentierten der sozialdemokratische Bundeskanzler und sein grüner Außenminister noch mit den Menschenrechten und der deutschen Geschichte. Nicht außenpolitische Zurückhaltung aufgrund der deutschen Vergangenheit, sondern militärisches Engagement gerade wegen der „Verantwortung“ vor der eigenen Geschichte war die Parole des Tages. Freilich musste Slobodan Milosevic erst als neuer Hitler tituliert und Konzentrationslager in Serbien erfunden werden, damit deutsche Kampfflugzeuge Belgrad bombardieren konnten. Im Krieg gegen die Taliban in Afghanistan wurde dann mit multilateralen Verpflichtungen und der deutschen und internationalen Sicherheit argumentiert. Mit der Ablehnung des Irakkriegs im Sommer 2002 stellte Deutschland eindrucksvoll die Unabhängigkeit von den USA und damit seine vollendete Souveränität zur Schau. „Kerneuropa“ bringt sich in Stellung. Nicht nur wenn es um eine EU-Armee geht, sondern auch in der Wirtschafts- und Flüchtlingspolitik weiß Deutschland seinen Einfluss in der EU geltend zu machen und eigene Projekte über EU-Politik zu verwirklichen. Unter dem Etikett „Kerneuropa“ versuchen Frankreich und Deutschland gemeinsam einen europäischen Block in Stellung zu bringen, um ihren Einfluss in der Welt und in Europa weiter auszubauen. Militärtechnologie wird vorangetrieben. Neuerdings erwägt die Bundesregierung, mit der „Kerneuropa“- Kooperation auch den europäischen Schiffbau für Rüstungszwecke zu nutzen.

Aber auch die Verhinderung von Einwanderung wird zunehmend zum Thema europäischer Außenpolitik. Die verteidigungspolitischen Richtlinien stellen fest, dass neben dem „internationalen Terrorismus“ und „der international operierenden organisierten Kriminalität“ auch die „zunehmenden Migrationsbewegungen [sich] unmittelbar auf die deutsche und europäische Sicherheit auswirken“. Die Festung Europa rüstet weiter auf. Damit die Sicherheit der EuropäerInnen nicht von Flüchtlingen „gestört“ wird, ist eine Aufgabe der Bundeswehr die Verhinderung von Flucht, bzw. deren Bekämpfung vor Ort. 1992 diskutierten die Staats- und Regierungschefs der EU erstmals über Möglichkeiten der „Regionalisierung der Flüchtlingsaufnahme“. Seitdem geht die Tendenz von der Abdrängung der MigrantInnen an die Ränder der EU hin zu Auffanglagern außerhalb Europas oder sogenannten Schutzzonen in den Fluchtländern selbst. Die Einrichtung solcher Lager wurde von der Bundesregierung forciert, damit die von Tod bedrohten Menschen dort bleiben, wo sie hingehören: In ihren Ländern. Und nicht dort hingehen können, wo es ihnen besser geht.

Projekt Normalisierung abgeschlossen?

Diplomatie, Entwicklungshilfe, Wirtschaftspolitik, Flüchtlingspolitik. Außenpolitische Einflussnahme setzt entschieden vor der Entsendung von militärischen Truppen an und endet noch lange nicht mit ihrem Abzug. Machtpolitik äußert sich überall dort, wo deutsche Soldaten Krieg führen, deutsche Waren verkauft werden oder deutsche Entwicklungshilfe agiert. In den letzten 10 Jahren hat sich das Auftreten Deutschlands auf der internationalen Bühne zugunsten einer nationalistischen Interessenvertretung verschoben. In Konsequenz des Nationalsozialismus wurde Deutschland durch außenpolitischen Druck der Alliierten Fesseln anlegt. Heute spielen diese aber kaum eine Rolle mehr. Entweder wird mittels der Geschichte Deutschland als legitimer Kämpfer gegen Unrecht auf der ganzen Welt dargestellt oder man relativiert die Ermordung von 6 Mio. Juden soweit, dass sie kaum mehr als unvergleichbares Verbrechen wahrgenommen wird. Deutschland ist eine „normale“ Nation, die durch Machtpolitik ihre Interessen in der Welt vertritt. Nachdem die Diskussion über US-amerikanische Außenpolitik im letzten halben Jahr die Medien dominierte, wird die Außen- und Interessenpolitik des eigenen Landes von großen Teilen der Bevölkerung wohlwollend zur Kenntnis genommen. Diese deutsche Geschlossenheit lässt aufhorchen.

erschienen in:
submarine 2003-2