Ausgrenzung und Demütigung

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Rassismus & Migration Ausgrenzung und Demütigung

Über die Situation minderjähriger Asylbewerber

Wer kennt das nicht: ein meist zum Brechen langweiliger Schulalltag, Unterrichtsstoff, der eine_n nur mäßig interessiert, viel zu kurze Pausen und viel zu wenig Freizeit. Also ist es doch ganz verständlich, wenn meine Schultasche nach der letzten Stunde in hohem Bogen in die Ecke meines Zimmers fliegt. Endlich frei! Doch was macht meine Freundin Nadira? Sie will sich gleich an den Schreibtisch setzen, um zu lernen.

Was ist eigentlich mit meiner Freundin los?

Nadira ist gerade 17 Jahre alt geworden, sie bekommt in der Schule sehr gute Noten und würde nach dem Abitur gern ein Informatikstudium beginnen. Aber ihre Familie hat in Deutschland kein Aufenthaltsrecht, sondern wird lediglich geduldet. Mit dem 17. Lebensjahr fällt Nadira somit automatisch unter die Rechtsbestimmungen des deutschen Asylverfahrens, obwohl sie mit unter 18 Jahren noch Kind ist. Das heißt für sie im Klartext, dass ihr nun die Abschiebung droht und sie einer unsicheren Zukunft entgegen sieht. Sie gilt jetzt nicht mehr in erster Linie als Kind, sondern als unerwünschte Asylsuchende. Dies bedeutet, dass sie selbst einen Rechtsanwalt beauftragen, einen Asylantrag stellen oder eine Klage einreichen müsste, würde sich kein Familienmitglied oder Betreuer finden.

Der Alltag von Kindern in Asylverfahren in Deutschland ist von Ausgrenzung und Demütigung geprägt. Ihre Asylanträge werden häufig abgelehnt, weil ihr Schicksal keine politische Verfolgung im Sinne des deutschen Asylrechts darstellt. Meist wird Änderung der Angabe des Asylgrunds von z.B. Schutz vor Verfolgung im Herkunftsland auf arbeitsplatzsichernde Studien- oder Ausbildungsmöglichkeit nicht akzeptiert. Bei den formellen Anforderungen des Asylverfahrens erfahren sie oft keine qualifizierte Unterstützung, im Alltag bekommen sie keine angemessene Betreuung. Auch minderjährige Flüchtlinge werden in Sammelunterkünften untergebracht, in denen sich mehrere Personen ein Zimmer teilen. Etliche Minderjährige sitzen sogar in Abschiebehaft.

Immer wieder werden Minderjährige schon ab dem Alter von 14 Jahren alleine abgeschoben, ohne dass sich jemand um ihre Zukunft kümmert. Behörden zweifeln häufig das angegebene Alter der Minderjährigen an und erhöhen unter Zuhilfenahme fragwürdiger Methoden die Altersangabe im neu ausgestellten Ausweispapier. Dabei sind sie rechtswidrigen Eingriffen in die körperliche Unversehrtheit ausgesetzt. Röntgenologische Untersuchungen zur Altersbestimmung werden auch ohne ihr Einverständnis durchgeführt. Sie erleben tägliche Diskriminierung bis hin zu tätigen Übergriffen. Sie erhalten keine umfangreiche medizinische Versorgung oder finanzielle Unterstützung für Kleidung, Freizeitbeschäftigungen oder Schulbücher.

Seit der faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl 1993 gibt es eine große Anzahl von Menschen, die in einem reichen Industriestaat wie Deutschland in unsicheren Verhältnissen leben müssen. Viele von ihnen warten unter rechtswidrigen und unmenschlichen Bedingungen, eingepfercht in Sammellagern, auf die Asylentscheidung, der oft die Abschiebung folgt.

In Deutschland wissen nur wenige Menschen etwas über die spezielle Situation von minderjährigen Flüchtlingen. Kinderarmut, die Abschiebung Minderjähriger oder die Verweigerung der Ausbildung sind Themen, die in Deutschland kaum Beachtung finden. Schließlich tragen die großen Parteien ihre christliche Nächstenliebe oder aber ihre soziale Ader gerne vor sich her. „Ein Herz für Kinder“? - Das gilt offenbar nicht für meine Freundin Nadira!

erschienen in:
Kein Mensch ist illegal! Magazin der Naturfreundejugend (2003)